Der Personalmangel hat auch die öffentliche Hand längst im Griff. Eine offene Stelle qualifiziert zu besetzen, gleicht heute der Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. HR-Profis greifen darum immer häufiger auf das sogenannte Active Sourcing zurück. Welche Chancen dieser Ansatz bietet, verrät uns die Talentsucherin und Recruiting Expertin Fatoumata Diakité im Interview.
Liebe Fatou, Behörden und Verwaltungen fällt es immer schwerer, Stellen neu zu besetzen. Du rätst ja zum Active Sourcing. Was genau ist damit gemeint?
Zunächst einmal ist Active Sourcing Teil des Recruiting Prozesses, also der Mitarbeitendengewinnung. Allerdings ist es – wie der Name schon sagt – eine aktive Herangehensweise. Oft ist das Recruiting ja sehr reaktiv: Man wartet meist darauf, dass etwas passiert und reagiert dann. Ganz klassisch wartet man beispielsweise auf Rückmeldungen auf eine Stellenanzeige.
Beim Active Sourcing geht es darum, die passenden Kandidaten über einen aktiven Prozess auszumachen, zu kontaktieren und möglichst für die Stelle zu gewinnen.
Und wie muss ich mir das konkret vorstellen? Welche Instrumente nutzt du denn im Active Sourcing? Dafür schlägst du ja sicher nicht das Telefonbuch auf …
Im Active Sourcing geht man meist im Internet auf die Suche. Die besten Anlaufstellen sind die beiden großen Business Netzwerke Xing und LinkedIn, aber auch über Google, Bing und andere Suchmaschinen kann man nach Talenten suchen. Das wäre allerdings schon der zweite Schritt. Als Erstes ist es wichtig, genau zu verstehen, wen man da eigentlich sucht. Dabei geht es nicht nur um Qualifikation und Fachkenntnisse, sondern vor allem um Soft Skills. Man erstellt also zunächst ein sehr klares, aber breites Profil für den Kandidaten oder die Kandidatin.
Wenn ich das habe, dann konzentriere ich mich auf dieses Profil und suche ganz gezielt nach Menschen, die das interessieren könnte. Es darf beim Active Sourcing nicht um die Absendenden gehen. Behörden müssen überlegen, was die Kandidat:innen an einer offenen Position interessieren könnte.
Funktioniert das denn für alle Positionen oder gibt es bestimmte Arbeitsbereiche, die sich besser dafür eignen?
Es gibt natürlich Bereiche, in denen Active Sourcing etwas vielversprechender ist. Das sind Stellen, in denen Menschen arbeiten, die internetaffin sind. Dazu würde ich Controlling, Einkauf und IT zählen, aber auch Ingenieur:innen oder Marketingspezialist:innen.
Kindergärtner:innen; Handwerker:innen oder Pflegekräfte sollte man aber nicht ausschließen. Auch da gibt es Online-Kanäle, in denen man gezielt nach interessanten Fachkräften schauen kann. Dazu gehören Instagram, Foren und Gruppen.
Es geht beim Active Sourcing eben darum, passive Kandidat:innen zu finden. Damit meine ich Menschen, die nicht aktiv auf Jobsuche sind, aber dennoch für einen Jobwechsel offen sein könnten, wenn ich ihnen ein gutes und zugeschnittenes Angebot unterbreite. Darum muss ich zum einen ein wirklich gutes und klares Profil für die Stelle erstellen, mich aber gleichzeitig sehr gut in die Zielgruppe hineinfühlen. Ich sehe mir die Informationen in den Business Netzwerken genau an und überlege, was diese eine Person überzeugen könnte. Meine Kontaktaufnahmen gestalte ich dann sehr individuell. Denn gute Leute in nachgefragten Bereichen bekommen so viele Anfragen, da fallen Standardnachrichten direkt durch.
Das klingt ja fast so, als müsste sich die Behörde bewerben und nicht umgekehrt …
Ja, so ist das heute. Wir haben seit einigen Jahren mehr Jobangebote als Kandidat:innen; da klafft eine Lücke. Und Behörden stehen mit Unternehmen im Wettbewerb um die wenigen Talente. Früher hat man eine Stellenanzeige geschaltet, anschließend alle möglichen Bewerbungen durchgeschaut und die Kandidat:innen mit Fragen gelöchert. Den Prozess dafür haben die Arbeitgeber:innen allein vorgegeben. Da haben sich Bewerber:innen auch mal vier Wochen hinhalten lassen, bis eine Rückmeldung kam. Heute muss man gute Kandidat:innen ganz aktiv im Bewerbungsprozess halten. Das muss alles viel schneller gehen: Feedback in 48 Stunden, nicht nach 14 Tagen. Behörden müssen ihren Bewerbungsprozess verschlanken und beschleunigen, damit gute Kandidat:innen nicht abspringen. Das gilt aber auch für viele Unternehmen.
Apropos Zeit: Wie ändert sich durch Active Sourcing die Zeitspanne bis eine Stelle besetzt ist?
Wir sprechen ja von der Candidate Journey, also der Reise, die ein:e Bewerber:in vom ersten Kontakt bis zur Anstellung durchläuft. Idealerweise ist diese Zeit beim Active Sourcing verkürzt. Denn die Methode erhöht ja die Chance, jemanden Passendes zu finden, in dem man weniger Menschen anspricht, dafür aber gezielter. Also, man verfolgt das Prinzip „Klasse statt Masse“.
Dabei darf man aber nicht vergessen, dass Active Sourcing ein zeitintensiver Prozess ist. Ein Profil zu erstellen, genau zu überlegen, was das Team braucht, was die Behörde bieten kann und dann nach Interessierten zu suchen, das macht man nicht nebenbei.
Machen Stellenanzeigen deiner Meinung nach denn überhaupt noch Sinn?
Es gibt schon noch Stellenanzeigen, die funktionieren, auf die also Bewerbungen eingehen. Das ist bei Arbeitgeber:innen der Fall, die sehr bekannt sind und für viele Menschen ein attraktives Jobumfeld darstellen. Bei allen anderen trudeln nur noch wenige Bewerbungen auf Stellenanzeigen ein.
Allerdings sind Stellenanzeigen heute auch völlig austauschbar geworden und haben ihre Aussagekraft verloren. Den Bewerber:innen sagen sie nicht mehr viel über die Position und das Arbeitsumfeld.
Wenn man es schafft, Stellenanzeigen modern, informativ und zielgruppengenau zu gestalten, spricht nichts dagegen, Stellenanzeigen parallel zum Active Sourcing weiterlaufen zu lassen. Dafür sollte eine Behörde genau herausarbeiten, welche Vorzüge die jeweilige Stelle hat und das ganz klar formulieren. Die öffentliche Hand traut sich oft nicht, sich zu positionieren. Das ist schade, denn Behörden haben als Arbeitgeberin durchaus einiges zu bieten.
Hast du Tipps oder Lerneffekte, die du unseren Blog-Lesenden mit auf den Weg geben kannst?
Ein ganz wichtiges Learning für mich war, dass die Gewinnung von Mitarbeitenden ein Gemeinschaftsprojekt ist. Das kann nicht nur der Recruiter oder die Recruiterin alleine machen. Der gesamte Fachbereich inklusive Leitung und Team müssen die Suche nach einer Kandidatin oder einem Kandidaten gemeinsam gestalten und unterstützen.
Ich selber bin übrigens über ein Buch ins Active Sourcing gekommen: „Praxiswissen Talent Sourcing“ von Barbara Braehmer. Das kann ich nur jedem als Einstieg empfehlen. Ansonsten finde ich es wichtig, neugierig zu bleiben und Dinge einfach mal auszuprobieren. Dafür muss man sich natürlich Zeit freischaufeln. Auch wenn der Erfolg ein bisschen auf sich warten lässt; man macht Erfahrungen und die werden sich auszahlen. Denn ums Active Sourcing kommt eigentlich niemand mehr herum.
Fatou Diakité ist Diplom-Kauffrau und seit 2007 in der Personalberatung tätig. Im April 2018 hat sie sich unter dem Label hrspecs. als Recruiterin mit dem Fokus auf Active Sourcing selbständig gemacht und begleitet StartUps und kleine und mittelständische Unternehmen bei der Personalgewinnung. Dabei taucht sie in die individuelle Unternehmenskultur ein und findet so gezielt Talente, die sowohl fachlich als auch persönlich passen. Ein wertschätzender und offener Umgang spielt für sie eine entscheidende Rolle in allen Phasen des Talent Acquisition Prozesses.