Im vergangenen Jahr haben Preisgleitklauseln stark an Bedeutung gewonnen. Doch nachdem Preise für Baustoffe zuletzt wieder kalkulierbarer geworden sind, ist deren Notwendigkeit aktuell umstritten. Vergabestellen sollten die Markterkundung nutzen, um beurteilen zu können, ob Festpreisangebote möglich und zu erwarten sind.
Der Überfall Russlands auf die Ukraine hatte auch erhebliche Auswirkungen auf öffentliche Beschaffungen, insbesondere im Baubereich. Die Entwicklung des Stahlpreises aber auch die Preise für zahlreiche andere Baustoffe wurden für Unternehmen zu unkalkulierbaren Wagnissen. Auch die Nachwirkungen der Corona-Krise waren teilweise durch gestörte Lieferketten noch spürbar. Dies führte im vergangenen Jahr dazu, dass sich Bieter häufig nicht in der Lage sahen, in einem Ausschreibungsverfahren bindende Preisangebote abzugeben. Die Problematik verstärkt sich bei Vergaben öffentlicher Auftraggeber vor allem dadurch, dass sich die Bieter einen recht langen Zeitraum von vier Wochen und mehr an ihr Angebot gebunden halten müssen, ohne dass preislich nachverhandelt werden darf.
Wann sind Preisgleitklauseln zwingend?
Immer dann, wenn Bieter im Vergabeverfahren nicht mehr in der Lage sind, Angebote auf Basis einer kaufmännisch vernünftigen Kalkulation einzureichen, sind Preisgleitklauseln angezeigt (so zuletzt Vergabekammer Lüneburg, Beschluss vom 01.02.2023, VgK-27/2022). Umfasst die Leistungsbeschreibung Stoffe, deren Preisentwicklung nicht mehr seriös absehbar ist, muss dieses Risiko durch Preisgleitklauseln aufgefangen werden.
Während dies im vergangenen Jahr für zahlreiche Baustoffe galt, hat sich die Lage zwischenzeitlich entspannt. Unternehmen erhalten von Lieferanten wieder Festpreisangebote mit längerfristiger Preisgarantie, sodass sie wieder in der Lage sind, ein Angebot mit zweimonatiger Bindefrist abzugeben. Vermutlich wird daher auch der Bund für seine Bauvergaben die Empfehlungen für Preisgleitklauseln über Ende Juni 2023 hinaus nicht in der jetzigen Form aufrecht erhalten.
Ob und in welchem Umfang Preisgleitklauseln also noch erforderlich sind, wird sehr auf den Einzelfall ankommen. Vergabestellen sollten dabei mehr denn je das Instrument der Markterkundung nutzen. So lässt sich herausfinden, ob Unternehmen in der Lage sind, die erforderlichen Leistungen zum Festpreis anzubieten.
Markterkundung
Unsichere Rahmenbedingungen auch über Baubranche hinaus
Preisgleitklauseln haben in den letzten Monaten jedoch auch über den Baubereich hinaus an Bedeutung gewonnen. Es zeichnet sich ab, dass sich diese Entwicklung weiter fortsetzt. Durch die allgemein hohe Inflation, schwankende Energiepreise, weiterhin unsichere Rahmenbedingungen und in einzelnen Branchen bereits absehbare Lohnerhöhungen in größerem Umfang sind auch in anderen Sektoren, insbesondere im Dienstleistungsbereich, die bislang geltenden Kalkulationsparameter ins Wanken geraten. Dies können Unternehmen in Ausschreibungsverfahren nur mit höheren Risikozuschlägen kompensieren, wenn die Vergabeunterlagen keine Preisanpassungsmöglichkeiten vorsehen. Auch wenn in diesen Fällen Preisgleitklauseln vergaberechtlich nicht zwingend sind, können Preisanpassungsmechanismen sinnvoll sein, um Risikoaufschläge zu minimieren. So bietet sich beispielsweise bei personalintensiven Leistungen an, dass sich die Preisanpassung an der (statistischen oder tarifvertraglichen) Entwicklung der Lohnkosten orientiert.
Preisanpassungsregelungen sollten beherrschbar bleiben
Egal ob vergaberechtlich zwingend oder im Einzelfall sinnvoll: Die gewählte Preisgleitklausel sollte so ausgestaltet sein, dass sie für alle Beteiligten auch nach Vertragsschluss noch beherrschbar bleibt. Für Bauleistungen oder Lieferleistungen mit umfangreichem Leistungsverzeichnis bedeutet dies, dass die Preisanpassung auf das erforderliche Maß an LV-Positionen beschränkt sein sollte. Die Parameter (Zeitpunkte, einschlägiger Index, Procedere der Geltendmachung) sollten zudem von Beginn an klar geregelt werden. Nur so kann verhindert werden, dass die Preisanpassung nicht mehr Probleme schafft als beseitigt. In der Praxis ließ sich zudem in den vergangenen Monaten beobachten, dass der Auftragnehmer nachträglich zugunsten des öffentlichen Auftraggebers auf eine Preisanpassung verzichtete, da die (geringfügige) Mehrvergütung den Abrechnungsaufwand deutlich überschritt.