
Allgäuer Genussmanufaktur: Wie eine Genossenschaft neues Leben ins Dorf brachte
Brachliegende Gebäude, fehlende Nahversorgung und abnehmende Dorfstrukturen sind Herausforderungen vieler ländlicher Regionen. Doch in Urlau, einem Ortsteil von Leutkirch im Allgäu, haben die Bürger:innen selbst gehandelt. Die Allgäuer Genussmanufaktur ist ein einzigartiges Bürgerprojekt, das mit fast 1.000 Genossenschaftsmitgliedern eine nachhaltige Nutzung eines alten Brauereigebäudes ermöglicht hat. Für diesen vorbildlichen Ansatz wurde das Projekt mit dem dritten Platz in der Kategorie Bürgerbeteiligung beim Staatsanzeiger Award ausgezeichnet.
Von der Vision zur lebendigen Dorfmitte
In Urlau stand das historische Brauereigebäude von 1904 seit Jahrzehnten leer und drohte zu verfallen. Der Heimatentwickler Christian Skrodzki, der bereits mit der Rettung des Leutkircher Bürgerbahnhofs ein erfolgreiches Genossenschaftsmodell etabliert hatte, wollte nicht länger zuschauen. So entstand die Idee zur Allgäuer Genussmanufaktur.
Anstatt auf Investoren oder staatliche Hilfen zu warten, ergriff er zusammen mit einer Gruppe engagierter Bürger:innen selbst die Initiative. In einer ersten Versammlung im Dorfgasthof Hirsch, der zuvor ebenfalls aus dem Dornröschenschlaf geweckt wurde, informierten sie die Bevölkerung über ihre Pläne.
Monatelang wurden Tausende Menschen durch das verfallene Gebäude geführt, um für das Projekt zu begeistern. Mit großem Erfolg: Hunderttausende Euro an Bürgerkapital kamen zusammen, sodass im Sommer 2018 die ehrenamtliche Genossenschaft gegründet und mit dem Umbau begonnen werden konnte. Bereits im Herbst 2019 öffnete die Genussmanufaktur erstmals ihre Tore.
Ein Zentrum für Handwerk, Kulinarik und Gemeinschaft
Heute ist die Allgäuer Genussmanufaktur eine Mischung aus Markthalle, Produktionsstätte und Treffpunkt. Auf 1.000 Quadratmetern vereint sie verschiedene Kunst- und Genusshandwerker unter einem Dach. Besucher:innen können beim Brauen, Rösten, Weben oder Schmieden zusehen oder regionale Spezialitäten im Dorfladen mit Dorfcafé erwerben. Zu den dort vertretenen 18 Kunst- und Genusshandwerksbetrieben gehören unter anderem eine Kaffeerösterei, eine Brauerei, eine Ölmühle, eine Goldschmiede und eine Keramikwerkstatt.
Ein wichtiger Faktor für den Erfolg ist die Anbindung an den nahegelegenen Center Parcs Allgäu, der viele Besucher:innen anzieht. Rund ein Viertel der Gäste kommen direkt von dort, die übrigen stammen zu 70 Prozent aus der Region.
Kommunikationsarbeit als Erfolgsfaktor
Von Anfang an setzte die Genossenschaft auf eine breite Kommunikation. Klassische Werbekanäle wie Flyerverteilung in Briefkästen, Presseberichte in regionalen Zeitungen und Anzeigen in Mitteilungsblättern wurden genutzt. Auch digitale Medien spielten eine zentrale Rolle: Instagram, Facebook und eine professionelle Website sorgten für Aufmerksamkeit.
Zudem wurden Infoveranstaltungen im Dorfgasthof abgehalten, um die Bürger:innen aktiv einzubinden. Multiplikator:innen wie Abgeordnete und Fernsehpersönlichkeiten besuchten das Projekt und trugen dazu bei, dass es weiter an Bekanntheit gewann.
Ein besonderes Highlight war die Berichterstattung in Funk und Fernsehen. Mehrere Fernseh- und Radiobeiträge begleiteten die Entwicklung der Genussmanufaktur. Der SWR filmte über zwei Jahre hinweg und produzierte die 30-minütige Fernsehdokumentation „Christian rettet die Dorfmitte“. Auch die Kinodokumentation „URLAU(B)“, die das Projekt in einem größeren gesellschaftlichen Kontext zeigt, trug dazu bei, das Modell bekannt zu machen. Aktuell investiert die Genossenschaft rund 10.000 Euro pro Jahr in Werbung und Kommunikation.
Herausforderungen und Errungenschaften
Dennoch: Der Weg war nicht immer einfach. Die Umnutzung eines historischen Gebäudes erwies sich als komplex und erforderte zahlreiche Genehmigungen. Doch das große ehrenamtliche Engagement machte Unmögliches möglich. Die Corona-Pandemie stellte das junge Projekt vor eine harte Probe, doch dank der fast 1.000 engagierten Genossenschaftsmitglieder konnten die Genussmanufaktur und ihre Betriebe diese Krise überstehen.
Mittlerweile hat sich das Projekt zu einem Leuchtturm in der Region entwickelt: Mehrere Städte in Süddeutschland planen, das Modell zu übernehmen.
Warum die Genussmanufaktur beim Staatsanzeiger Award überzeugte
Die Jury des Staatsanzeiger Awards zeichnete die Allgäuer Genussmanufaktur aus, weil das Projekt eindrucksvoll zeigt, wie Bürger:innen selbst Verantwortung für ihre regionale Wirtschaft übernehmen können. Mit minimalem Budget, aber maximalem Gemeinschaftsgeist wurde ein lebendiges Zentrum geschaffen, das den ländlichen Raum Urlau in vielerlei Hinsicht stärkt.
Das Projekt beweist: Mit Mut, Zusammenarbeit und einer klaren Vision kann man auch in kleinen Gemeinden Großes bewegen.