Mit Blick auf die Rolle der HOAI bei der Vergabe öffentlicher Aufträge über Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren ist derzeit aufgrund des EuGH-Urteils vom 04.07.2019 (Az. C-377/17) sowie einer ganzen Reihe nachfolgender nationaler Entscheidungen vieles im Fluss.
Der EuGH entschied im Sommer vergangenen Jahres, dass die nach der HOAI vorgesehenen verbindlichen Mindest- und Höchstsätze bei den Honoraren für Planungsleistungen von Architekten und Ingenieure europarechtswidrig sind. Für öffentliche Auftraggeber sowie Bieter stellt sich nun die Frage, welche Folgen dies für Vergabeverfahren hat.
Europarechtswidrigkeit der HOAI-Mindest- und Höchstsätze im Vergabeverfahren
Infolge der EuGH-Entscheidung ist es öffentlichen Auftraggebern nun nicht mehr erlaubt, Bietern im Vergabeverfahren bei der Preiskalkulation die Einhaltung der Mindest- und Höchstsätze nach HOAI zwingend vorzugeben (vgl. VK Bund, Beschl. v. 30.8.2019, Az. VK 2-60/19; VK LSA Beschl. v. 24.10.2019, Az. 1 VK LSA 04/19). Unzulässig ist es damit erst recht, Angebote auszuschließen, die gegen eine solche rechtswidrige Kalkulationsvorgabe verstoßen. Entsprechende Vorgaben können von Bietern in einem Nachprüfungsverfahren beanstandet werden; nach Auffassung der VK Bund auch ohne, dass der Bieter dies zuvor (rechtzeitig) gerügt hat.
Weiterhin zulässig ist es dagegen, wenn öffentliche Auftraggeber für die Beschreibung der Leistung sowie ggf. für die Abfrage von Einzelpreisen auf die Leistungsbilder, Honorarzonen und andere Berechnungsmethoden der HOAI zurückgreifen. Denn europarechtswidrig sind nach dem Urteil des EuGH ausschließlich die Vorgaben zur zwingenden Einhaltung der HOAI-Mindestsätze; die übrigen Vorschriften der HOAI sind davon nicht betroffen. Auch für die Auftragswertschätzung im Vorfeld der Ausschreibung dürften sich öffentliche Auftraggeber weiterhin auf eine Kalkulation entsprechend der HOAI-Mindestsätze stützen, solange dies der aktuellen Marktlage entspricht. Hier bleiben die Preisentwicklungen abzuwarten.
Ist auch die die Schriftformvorgabe der HOAI europarechtswidrig?
Eine weitere, für alle mit Planervergaben und Planerverträgen befassten Akteure äußerst interessante Schlussfolgerung aus dem EuGH-Urteil zur HOAI hat jüngst das OLG Celle im Hinblick auf § 7 HOAI gezogen:§ 7 Abs. 1 HOAI fordert nämlich weiterhin eine schriftliche Honorarvereinbarung. Nun stellte das OLG Celle jedoch klar, dass aufgrund des EuGH-Urteils auch die Formvorgabe des § 7 Abs. 1 HOAI unwirksam ist. Denn diese Vorgabe diene allein dem Ziel, die Unterschreitung bzw. Überschreitung der Mindest- bzw. Höchstsätze nach der HOAI zu erschweren (vgl. OLG Celle, Urt. v. 01.04.2020, Az. 14 U 185/19; Urt. v. 13.05.2020, 14 U 71/19). Wenn dieses Ziel aber wegfalle, dann sei auch das Schriftformerfordernis nicht mehr notwendig. Planer-Honorare könnten nun – anders als bisher – auch mündlich oder per Email wirksam vereinbart werden. Ob sich andere OLGs dieser Auffassung anschließen, ist aber noch unklar.
Nach Vertragsschluss: Berufung Privater auf HOAI Mindestsatz des EuGH-Urteils?
Nicht eindeutig beantwortet ist von der Rechtsprechung bisher, ob sich Architekten und Ingenieure nach Vertragsschluss gegenüber Auftraggebern auf die Vergütung nach HOAI-Mindestsätzen berufen können, selbst wenn eine niedrigere Vergütung vereinbart wurde. Während öffentliche Auftraggeber bei der Gestaltung der Vergabeverfahren unmittelbar an das EuGH-Urteil gebunden sind, ist diese unmittelbare Bindung in rein zivilrechtlichen Honorarprozessen derzeit noch unklar. Es gibt eine ganze Reihe sich widersprechender Entscheidungen der Obergerichte. Die Hoffnung auf eine rasche Klärung durch den Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mittlerweile zerschlagen. Der BGH hat die Frage der Anwendbarkeit der verbindlichen Mindestsätze in laufenden Honorarprozessen mit Beschluss vom 14. Mai 2020 (Az. VII ZR 174/19) dem EuGH vorgelegt.
Es bleibt also weiter spannend!
Der Beitrag ist eine Gemeinschaftsarbeit von Dr. Rut Herten-Koch und Manuel Zimmermann.
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