Vertragsanpassung wegen geänderter Rahmenbedingungen im Ukraine-Krieg?
Der Krieg in der Ukraine wirkt sich auch in Deutschland aus. Steigende Preise für beispielsweise Kraft- und Baustoffe führen zu geänderten Rahmenbedingungen. Vergebene Verträge geraten durch die Preissteigerungen in Schieflage. Aber können solche Verträge einfach angepasst werden?
Die öffentliche Hand hat unter Anwendung des Vergaberechts Verträge geschlossen, die z.T. lange Laufzeiten haben. Der Krieg in der Ukraine führt nun zu geänderten Rahmenbedingungen, die sich auch auf diese Verträge auswirken können. In Folge der verhängten Sanktionen gegen Russland sind etwa die Preise vieler Baustoffe oder für Kraftstoffe extrem gestiegen. So kommt etwa ein erheblicher Anteil des Baustahls aus Russland oder der Ukraine. Auch weitere Rohstoffe sind betroffen (z. B. Gas- oder Kraftstoffe).
In bestehenden Vertragsverhältnissen kann das dazu führen, dass der Auftragnehmer die Leistung nicht mehr wirtschaftlich oder nur mit Verlusten erbringen kann. Gleichwohl führen die geänderten Rahmenbedingungen nicht dazu, dass Verträge wegfallen oder der Leistungspflichten entfallen. Wie kann also mit den neuen Bedingungen umgegangen werden?
Störung der Geschäftsgrundlage?
Sind die Preise für Materialien oder die Produktionsbedingungen in Folge des Krieges betroffen und müssen die Auftragnehmer viel höhere Einkaufspreise bezahlen, so wird schnell auf eine „Störung der Geschäftsgrundlage“ (§ 313 BGB) verwiesen. Das ist auch naheliegend, weil Auftragnehmer und Auftraggeber den Vertrag in der Annahme geschlossen haben, dass sich die Rohstoffe grundsätzlich beschaffen lassen und sich deren Preise nur im „normalen“ Umfang ändern.
Sie hätten den Vertrag nicht bzw. nicht so geschlossen, wenn sie den Ukraine-Krieg und deren Weiterungen vorhergesehen hätten. Deshalb sind die Geschehnisse um den Ukraine-Krieg grundsätzlich geeignet, die Geschäftsgrundlagen eines Vertrages zu stören.
Damit ist aber noch nicht gesagt, dass der Vertrag anzupassen ist oder der Auftragnehmer gar ein Rücktritts- bzw. Kündigungsrecht hat. Eine Vertragsanpassung kommt nur dann in Betracht, soweit einer Vertragspartei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (insb. der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung) das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Das kann nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall festgestellt werden. Es gibt keine allgemeine Grenze für die Unzumutbarkeit. Einen Richtwert gibt allenfalls die Rechtsprechung, die in anderem Kontext bei Preissteigerungen in einer Größenordnung von 10 – 29% eine Unzumutbarkeit angenommen hat. Die Literatur setzt sogar noch später an (20 und 25%). Dabei ist eine Gesamtbetrachtung des Vertrages vorzunehmen, wobei die betroffene Position im Verhältnis zum Gesamtauftrag keine untergeordnete Rolle spielen darf. Auch Begleitumstände wie z. B. bestehende Nachtragsvereinbarungen sind einzubeziehen.
Wenn danach eine gestörte Geschäftsgrundlage vorliegt, hat das Unternehmen einen Anspruch auf Anpassung der Preise. Die Höhe ist aber Sache des Einzelfalls. Ein Kündigungsrecht kommt darüber hinaus nur ausnahmsweise in Betracht, wenn eine Anpassung des Vertrages nicht möglich oder unzumutbar ist.
Ob die Vertragsanpassung aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage im Übrigen vergabepflichtig ist oder sein kann, wird unterschiedlich beurteilt. Während die ältere Fachliteratur und ursprünglich auch die Kommission das eher abgelehnt haben, lasst sich die EuGH-Entscheidung „Finn Frogne“ (EuGH, 07.09.2016, C – 549/14) in diese Richtung verstehen. Auf der „ganz sicheren Seite“ ist man daher, wenn die Vertragsanpassung auch von § 132 GWB gedeckt ist.
Vertragsanpassung und wesentliche Vertragsänderung
Vertragsanpassungen berühren den Anwendungsbereich des § 132 GWB, wonach wesentliche Vertragsänderungen während der Laufzeit der Neuvergabe gleichstehen, also ein neues Vergabeverfahren erfordern. Eine vergaberechtlich unzulässige Auftragsänderung liegt bspw. vor, wenn mit der Änderung das wirtschaftliche Gleichgewicht zu Gunsten des Auftragnehmers in einer Weise verschoben wird, die im ursprünglichen Auftrag nicht vorgesehen war (§ 132 Abs. 1 Nr. 2 GWB).
Wird auf die gestiegenen Preise reagiert, kann es sich im Einzelfall aber gerade nicht um eine Verschiebung des wirtschaftlichen Gleichgewichts, sondern um die Wiederherstellung des ursprünglichen Gleichgewichts handeln. Es liegt dann keine wesentliche (unzulässige) Vertragsänderung vor. Änderungen sind freilich auch möglich, wenn sie schon durch Überprüfungsklauseln im Vertrag angelegt sind (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 GWB) oder die Änderung den Gesamtcharakter des Auftrags nicht verändert, der Änderungswert die EU-Schwellenwerte nicht übersteigt und nicht mehr als 10% bei Liefer- und Dienstleistungen bzw. 15% bei Bauaufträgen des ursprünglichen Auftragswertes beträgt (§ 132 Abs. 3 GWB).
Sollte trotz alledem eine wesentliche Vertragsänderung im Einzelfall anzunehmen sein, so ist diese ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig, wenn die Änderung aufgrund von Umständen erforderlich geworden ist, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht vorhersehen konnte und sich der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB). Diese Voraussetzungen dürften mit Blick auf die Kriegsereignisse gegeben sein, weil die Kriegsfolgen für den Auftraggeber nicht vorhersehbar waren. Der Preis darf in diesem Fall aber nicht um mehr als 50% des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöht werden und eine solche Vertragsänderung ist im EU-Amtsblatt bekanntzumachen.
Zuschüsse?
Eine weitere Korrekturmöglichkeit besteht im Übrigen außerhalb des Vergaberechts, wenn mit Zuschüssen gearbeitet wird. Die Kommission hat auf der Grundlage ihres „Befristeten Krisenrahmens für staatliche Beihilfen“ vom 23.03.2022 am 19.04.2022 eine Bundeskleinbeihilfenregelung genehmigt, mit der die BRD vor dem Hintergrund der Invasion der Ukraine durch Russland bis zu 20 Mrd. EUR für die Unterstützung von Unternehmen aller Wirtschaftszweige bereitstellen will.
OPPENLÄNDER Rechtsanwälte mit Sitz in Stuttgart zählt bei einer Teamgröße von ca. 40 Anwältinnen und Anwälten zu den TOP 50 Kanzleien in Deutschland. Die Beratungspraxis umfasst sämtliche Bereiche des Wirtschaftsrechts. Dies gilt insbesondere auch für das Vergabe- und Kartellrecht.
Der Beitrag ist eine Gemeinschaftsarbeit von Dr. Corina Jürschik und Dr. Joachim Ott.
Dr. Joachim Ott, LL.M. ist Rechtsanwalt bei OPPENLÄNDER Rechtsanwälte in Stuttgart. OPPENLÄNDER Rechtsanwälte berät öffentliche Auftraggeber und Bieter zu allen Fragen des Vergaberechts und Kartellrechts und führt regelmäßig Verfahren vor den Vergabekammern des Bundes und der Länder, den Oberlandesgerichten und den Gerichten der Europäischen Union.