Für Personalverantwortliche sind die bequemen Zeiten von „Perfect Match“ und „Bestenauswahl“ vorbei. Sie können längst nicht mehr aus dem Vollen schöpfen. Im Gegenteil: Der externe Arbeitsmarkt ist leergefegt. Er gibt nicht mehr die Top-Talente in ausreichender Anzahl her, die jede Verwaltung und jede Behörde für den optimalen Betrieb aller Geschäftsbereiche benötigt.
Konsequenz: nach innen schauen und mehr aus dem vorhandenen Potenzial machen – zum Wohl der Bediensteten und der Verwaltung. Denn einerseits ist die individuelle Karriereplanung motivierend und kann Bindungscharakter entfalten, andererseits verbessert sie die Fachkräftesituation und das Qualifikationsniveau. Doch es besteht Nachholbedarf.
Es war immer schon schwierig für jede Organisation und jeden Betrieb, die richtige Person zur richtigen Zeit an der richtigen Arbeitsstelle zu beschäftigen. Angesichts der Mangellage bei Fachkräften wird diese Aufgabe künftig noch schwieriger zu lösen sein. Daher kann längst nicht mehr allein auf die externe Beschaffung von Ressourcen und Kompetenzen entsprechender Fachkräfte gesetzt werden, sondern die Personalentwicklung muss sich auf neue Strategien besinnen und den Blick nach innen richten. Nicht selten haben sich dort ganz unerwartet und unverhofft Potenziale und Kompetenzen gezeigt. Aber dies sollte eben nicht zufällig oder beiläufig geschehen.
Personalentwicklung mit System
Bei der Personalentwicklung sollten Sie immer systematisch vorgehen, sowohl beim Ermitteln von Potenzialen, als auch beim Entwickeln von Kompetenzen der Beschäftigten. Karriereplanung als Instrument der Personalentwicklung bietet Ihren Beschäftigten Entwicklungen in verschiedene Richtungen: horizontal mit einem Wandel der Aufgaben und Verantwortlichkeiten und vertikal mit einem Aufstieg auf der Karriereleiter.
Manche Verwaltungen gehen inzwischen sogar noch einen Schritt weiter und haben ihr Laufbahnprinzip, das von außen vielfach als starr und unflexibel wahrgenommen wird, verändert. Organisationen wie das Bundesverteidigungsministerium haben Ansätze zu mehr Flexibilität und Durchlässigkeit geschaffen, indem sie die Gleichwertigkeit von Führungskarriere, Fachkarriere und Projektkarriere eingeführt haben. Diese Dreiteilung ermöglicht die individuelle Orientierung an den persönlichen Interessen und Kompetenzen der Bediensteten während aller Lebens- und Berufsphasen und sorgt so für eine höhere Motivation bei der Weiterentwicklung.
Lesetipp
Das Personal als höchstes Gut in der Verwaltung
Das Personal in der öffentlichen Verwaltung ist das zentrale Leistungssystem neben der Effizienz und Effektivität von Strukturen und Prozessen. Denn: In der öffentlichen Verwaltung sind es nicht Maschinen oder Rohstoffe, die zur Leistungsfähigkeit beitragen, sondern vor allem das Personal. Die Beschäftigtenqualifikation auf allen Hierarchieebenen trägt zum Erfolg oder aber Misserfolg bei – gerade in Zeiten der kolossalen Veränderung durch die digitale Transformation und Arbeit 4.0. Soziale und persönliche Kompetenzen sind für fast alle Aufgabenbereiche im öffentlichen Dienst sehr wichtig wie organisationsbezogene und methodisch-fachliche Kompetenzen, aktuelles wissenschaftliches Know-how und nicht zuletzt digitale Fitness und Management-Fähigkeiten. So ist es verwunderlich, dass dem Entdecken von Potenzialen und Entwickeln von Mitarbeitenden noch zu wenig Bedeutung beigemessen wird.
Immerhin startete das Bundesinnenministerium im Jahr 2018 für die gesamte Bundesverwaltung das Projekt PersDiV – Personalentwicklung und -gewinnung in der Digitalen Verwaltung. Fragen der Personalentwicklung und Rekrutierung in Zeiten von Digitalisierung und Demografie standen im Rahmen eines ressortübergreifenden Austauschs im Vordergrund. Das Bundesverwaltungsamt (BVA) und der Deutsche Wetterdienst (DWD) setzten die entwickelten Maßnahmen als Pilotbehörden in der Bundesverwaltung um. So sind Verwaltungen mit Vorbildcharakter entstanden.
Vorbildliche Verwaltungsbeispiele
Der Deutsche Wetterdienst (DWD)
Im Rahmen des Projekts PersDiV hat der DWD als Pilotbehörde mit der Umsetzung der entwickelten Maßnahmen begonnen. Der DWD bietet eine individuelle Personalentwicklung, die vorhandene Fähigkeiten erkennt, weiterentwickelt und neue Kompetenzen aufbaut, mit denen die Aufgaben des DWD gemeistert werden können. Ziel der Personalentwicklung ist es, die dienstlichen Anforderungen an die Beschäftigten mit ihren persönlichen Fähigkeiten und Vorstellungen in Einklang zu bringen.
Dazu werden in individuellen Beratungsgesprächen zwischen Führungskräften, Personalmanagement und den Beschäftigten im Rahmen der dienstlichen Möglichkeiten und gesetzlichen Vorgaben berufliche Karriere- sowie Qualifizierungswege und Fortbildungsmöglichkeiten im DWD erörtert. Der DWD setzt verschiedene Potenzialanalysen für unterschiedliche Beschäftigtengruppen ein, beispielsweise den Konzentrationsleistungstest (Aufmerksamkeits-Belastungs-Test d2) oder das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP).
Zur Führungskräfteentwicklung wird der DNLA-Managementkompetenztest genutzt. DNLA – „Discovering Natural Latent Abilities“ – ist ein Verfahren der Potenzialanalyse, das nach DIN 3340 für berufliche Eignungsbeurteilung zertifiziert. Der DWD erhielt 2019 den DNLA-Award für sein vorbildliches Kompetenzmodell.
Bundesagentur für Arbeit (BA)
Die BA ist eine der ersten großen Behörden in Deutschland gewesen, die das Konzept der „Lebensphasenorientierten Personalpolitik“ eingeführt hat.
Die BA wollte mit der Neuausrichtung der Personalentwicklung ihre operativen Geschäftsergebnisse steigern, ihre Innovationskraft stärken und so die Zukunftsfähigkeit der BA als lernende Organisation sichern. Insofern formulierte sie unter anderem folgende Ziele:
- Die Beschäftigungs- und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird im Rahmen der lebensphasenorientierten Personalpolitik gefördert.
- Personalentwicklung wird stärker mit der operativen Geschäfts- und mittelfristigen Personalplanung sowie der Gleichstellungspolitik verzahnt.
- Potenzialidentifikation und -förderung wird systematisiert und verbessert.
Als zentrale Instrumente der Personalentwicklung hat die BA unter anderem die Potenzialgespräche und Entwicklungskonferenzen weiterentwickelt und eingeführt. Führungskräfte wurden so befähigt, ihre Beschäftigten als erste Personalentwickler zu allen Fragen der Karriereentwicklung zu beraten.
Tolle Beispiele und nun?
Was können andere Organisationen des öffentlichen Dienstes von diesen vorbildlichen Konzepten der Personalentwicklung lernen? Wie können Potenziale der Beschäftigten bestmöglich erkannt, entwickelt und kontinuierlich gefördert werden? Wie können persönliche Entwicklungsziele und individuelle Karrierewünsche der Beschäftigten einerseits und strategische Verwaltungsziele andererseits so aufeinander ausgerichtet werden, dass Lernbereitschaft und Lernfähigkeit größer werden und die zugewonnenen Kompetenzen zur Identifikation mit Aufgaben und Arbeitgeber beitragen?
Tipp Nr. 1: Auf- und Ausbau der Verwaltung als lernende Organisation
Die öffentliche Verwaltung nimmt für sich in Anspruch, eine „Lernende Organisation“ in einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess zu sei. Das habe sie „wandlungsbereit“ gemacht und die kontinuierliche „Veränderung und Anpassung“ seien zu „Daueraufgaben“ geworden.
Allerdings sehen einige Forscher das anders: Sie betrachten die öffentliche Verwaltung eher als starr, hierarchieorientiert und wenig durchlässig. Voneinander und miteinander lernen, auch über Abteilungsgrenzen hinweg, das ist noch nicht gängige Praxis – der große Wissensschatz der öffentlichen Verwaltung wird noch viel zu wenig genutzt. Noch ist zu wenig von der Verzahnung von Lernen und Arbeiten zu spüren, von der Förderung von selbstgesteuertem Lernen über mobile Learning-Anwendungen und digitalen Lernplattformen.
Zum Aufbau einer lernenden Organisation mit lernfähigen und lernbereiten Beschäftigten ist es von großer Bedeutung, lernförderliche Arbeitsbedingungen mit zeitlichen Freiräumen für Lernen, für den Erfahrungsaustausch und für das Erproben von Prozessen zu schaffen. Grundlage für den Kulturwandel hin zu einer lernenden Organisation ist vor allem die Haltung der oberen und mittleren Führungskräfte.
Die Kulturveränderung kann durch geeignete Maßnahmen wie Mentoring-Systeme, systematischen Erfahrungsaustausch, kollegiale Fachberatung, Coaching, Multiplikatoren-Aktivitäten, Testimonial-Berichte im Intranet und systematische Schulungen gefördert werden.
Tipp Nr. 2: Potenzialermittlung zu verschiedenen Zeitpunkten
In vielen Organisationen gibt es nur einen Zeitpunkt, an dem das Potenzial der Beschäftigten mehr oder weniger professionell erfasst wird, nämlich zum Einstieg in die Organisation im Rahmen des Auswahlverfahrens. So bleiben allerdings viele Potenziale und Kompetenzen ungenutzt, die im Laufe des (Erwerbs-)Lebens weiterentwickelt und neu erworben werden. Wichtig ist es also, solche Potenziale über den gesamten Erwerbsverlauf zu erkennen, zu fördern und zu nutzen. Regelmäßige Potenzialanalysen könnten diese Ressourcen erschließen.
Tipp Nr. 3: Begleitung und Entwicklung der Beschäftigten in allen Lebensphasen
Beschäftigte wollen Perspektiven heben, wie sie sich in einer Organisation entwickeln können – gemäß ihrer eigenen Karriereplanung für die Weiterentwicklung oder auch Neu-Orientierung. Lebensphasenorientierte Entwicklungs- und Karrieregespräche können hier ein hilfreiches Instrument sein, beispielsweise Wiedereinstiegsgespräche nach einer Elternzeit oder einer Pflegesituation, aber auch Laufbahngespräche bei einer Umorientierung von Führungs- zu Fachkarriere nach 25 Jahren Betriebszugehörigkeit.
Tipp Nr. 4: Neue Personalentwicklungs-Instrumente nutzen wie etwa Job-Familien
Das Konzept der Job-Familien ist ein Instrument der strategischen Personalsteuerung, das die öffentliche Verwaltung noch kaum nutzt. Durch die Anwendung entsteht systematisch ein Mehr an analytischer Flexibilität, das hilfreich ist für Fach-, Führungs- und Projektkarrieren. Ein Projekt des Kompetenzcentrums für Public Management und Employability an der FOM-Hochschule konnte nachweisen, dass die öffentliche Verwaltung von diesem Instrument der Personalentwicklung profitieren kann, denn die Job-Familien schaffen mehr Transparenz über die aktuell notwendige Kompetenzausstattung der Beschäftigten und künftige Kompetenzanforderungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Tipp Nr. 5: Anforderungen der Digitalisierung für den Kulturwandel nutzen
Die öffentliche Verwaltung verändert sich gerade grundlegend durch die digitale Transformation. So schwierig es ist, diese Herausforderung auf allen Ebenen zu meistern, so kann sie doch auch als Chance genutzt werden, um Führungsstrukturen, Arbeitsweisen, Formen der Zusammenarbeit mit einer neuen Personal- und Organisationsentwicklung zu untermauern. Denn die veränderten Anforderungen an die Beschäftigten sind gewaltig, der Modernisierungsdruck ist erheblich gestiegen und gleichzeitig müssen die immensen Veränderungen im rechtlichen Rahmen stattfinden – ein großer Balanceakt.
Im Rahmen des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) geförderten Projekts „Experimentierräume in der agilen Verwaltung „AgilKom“ konnte die Universität Magdeburg zeigen, dass der Auf- und Ausbau eines „agilen Mindsets“ eine Grundvoraussetzung ist, um den digitalen Transformationsprozess zu meistern. Dazu reicht es aber nicht, nur Schulungen zu agilen Methoden durchzuführen. Vielmehr ist es unerlässlich, solche Methoden, die eine Offenheit, Reflexivität und Fehlerfreundlichkeit fördern, in der täglichen Praxis einzusetzen. Mit internen „agilen Coaches“ können die neuen Formen der Zusammenarbeit auf allen Ebenen der Organisation kollegial unterstützt werden.
Fazit
Fachkräftemangel, demografische Entwicklung und Arbeitswelt 4.0 verlangen nach einer Neu-Ausrichtung der Personalentwicklung: Es wird immer wichtiger, die in den Organisationen vorhandenen Ressourcen und Potenziale besser zu nutzen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen systematisch weiterzuentwickeln und so die eigenen Nachwuchskräfte – Fach- und Führungskräfte – zu schaffen.
Wenn hier ein Umdenken in Rathäusern, kommunalen Versorgungsbetrieben, Landes- und Bundesbehörden stattfindet, wäre dies auch ein starkes Signal für künftige Bedienstete: Denn individuelle Karrierepläne und Entwicklungsperspektiven sind motivierend für die Beschäftigten. In Anlehnung an das Grundprinzip für die Einstellung im Öffentlichen Dienst „die Personalauswahl erfolgt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung“ könnte das Grundprinzip für die Personalentwicklung lauten: „Wir entwickeln unsere Bediensteten in jeder Lebens- und Berufsphase nach individuellen Interessen und Kompetenzen im Rahmen einer systematischen Karriereplanung“.