Eine Leistung darf erst dann ausgeschrieben werden, wenn Vergabe- bzw. Ausschreibungsreife besteht. Das ist ein allgemeiner Grundsatz des Vergaberechts. Doch was heißt eigentlich vergabereif? Wann ist eine Vergabe reif? Und was passiert, wenn bewilligte Mittel doch plötzlich gestrichen werden? Die Antworten lesen Sie in diesem Blogbeitrag.
Das 11. Gebot: Die Vergabereife
Sie dürfen erst dann ein Vergabeverfahren starten, wenn alle notwendigen Unterlagen vorliegen und Sie davon ausgehen können, dass der Zuschlag innerhalb der gesetzten Frist erfolgen und mit der Ausführung der Leistung wie vorgesehen begonnen werden kann. Zweck der Vergabereife ist es, dass sich der Auftraggeber spätestens bei Beginn des Vergabeverfahrens darüber im Klaren ist, ob und was konkret beschafft werden soll. Das dient vor allem dem Schutz der Bieter. Bieter sollen sich nur dann an einem Vergabeverfahren beteiligten, wenn die Auftragsvergabe auch feststeht.
Im Baubereich finden Sie das Gebot der Vergabereife in § 2 EU Abs. 8 VOB/A. Da es aber ein allgemeiner Grundsatz des Vergaberechts ist, gilt die Vergabereife auch im Liefer- und Dienstleistungsbereich sowie unterhalb der EU-Schwellenwerte.
Folgende 2 Punkte müssen Sie für eine Vergabereife erfüllen:
- Die Vergabeunterlagen sind fertiggestellt (sog. formelle Ausschreibungsreife, § 121 GWB).
- Es gibt für die Auftragsvergabe keine tatsächlichen oder rechtlichen Hindernisse (sog. konzeptionelle Ausschreibungsreife).
Die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für eine Vergabereife
Die rechtlichen Voraussetzungen der Vergabereife haben Sie erfüllt, wenn Sie die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass der Auftragnehmer mit den ausgeschriebenen Leistungen innerhalb der angegebenen Fristen beginnen kann. Das bedeutet etwa, dass die für ein Bauprojekt erforderlichen Genehmigungen zumindest in vollziehbarer Form vor Beginn der Ausschreibung vorliegen. Dazu zählen beispielsweise Baugenehmigungen, Zuwendungsbescheide oder Genehmigungen nach dem Straßenverkehrsrecht, dem Wasserrecht, dem Gewerberecht oder dem Umweltrecht.
Die tatsächlichen Voraussetzungen der Ausschreibungsreife sind von Ihnen eingehalten, wenn Sie als öffentlicher Auftraggeber vor Ausschreibungsbeginn alles getan haben, damit der Auftragnehmer mit der Ausführung der ausgeschriebenen Leistungen innerhalb der angegebenen Fristen beginnen kann. Dazu gehört etwa die Bereitstellung und Freimachung von Grundstücken. Dazu gehört auch, dass die Finanzierung gesichert ist. Davon kann nur dann ausgegangen werden, wenn die erforderlichen Mittel tatsächlich zugewiesen sind bzw. die nach den haushaltsrechtlichen Bestimmungen erforderlichen Verpflichtungsermächtigungen erteilt wurden.
Dürfen Sie ausschreiben, wenn die Finanzierung noch nicht geklärt ist?
Fehlt es an der gesicherten Finanzierungsgrundlage, dürfen Sie das Vergabeverfahren grundsätzlich nicht starten. Eine Einleitung, „vorbehaltlich der Mittelvergabe“ ist ebenfalls nicht erlaubt. Etwas anderes gilt nur bei sog. Zuwendungsauflagen, wenn die Gewährung eines Zuschusses gerade von der Durchführung eines Vergabeverfahrens abhängt. Dann müssen Sie im Rahmen der Ausschreibung aus Gründen der Transparenz auf die ungesicherte Finanzierung klar und deutlich hinweisen.
Im Übrigen stellen Ausschreibungen ohne verbindliche Finanzierungszusage einen Verstoß gegen das Gebot der Ausschreibungsreife dar. Wenn Sie also ein Vergabeverfahren durchführen, ohne dass die Haushaltsmittel zur Verfügung stehen, können Sie die Ausschreibung aus diesem Grund (fehlende Finanzierung) auch nicht mehr rechtmäßig aufheben.
Sonderfall Mittelstreichung: Ist die Aufhebung zulässig?
Trotz aller Sorgfalt kann es dazu kommen, dass eine sichere Finanzierung durch nachträgliche Streichung bzw. Umverteilung der Haushaltsmittel nach Einleitung des Vergabeverfahrens wegfällt. Nun stellt sich Ihnen natürlich die Frage, ob Sie das Vergabeverfahren aufheben dürfen.
Grundsätzlich gibt es keinen Zwang, ein Vergabeverfahren mit Zuschlag zu beenden (kein Kontrahierungszwang). Die Aufhebung einer Ausschreibung ist aber nur dann rechtmäßig, wenn ein sachlicher Grund vorliegt . Sachliche Gründe wären etwa gegeben, wenn sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich ändert oder andere schwerwiegende Gründe bestehen (vgl. § 63 VgV; § 17 VOB/A-EU 2019).
Solche sachlichen Gründe können auch bei einer z.B. Corona-bedingten Streichung von Haushaltsmitteln vorliegen, jedenfalls soweit der Wegfall der Finanzierung nicht auf einen Fehler des Auftraggebers zurückzuführen und nach Einleitung des Vergabeverfahrens eingetreten ist (VK Bund, Beschl. vom 07.05.2020, 2 – 31/20, S. 14 f. zur Corona-Pandemie). Es kann Ihnen als Auftraggeber im konkreten Fall wegen der ungesicherten Finanzierung nicht zuzumuten sein, eines der eingegangenen Angebote anzunehmen (VK Bund, Beschl. vom 07.05.2020, 2 – 31/20, S. 13).
Halten wir fest: Sie sind dazu verpflichtet, vor dem Start eines Vergabeverfahrens die Vergabereife sicherzustellen. Dazu gehört auch der Punkt der Finanzierung. Fällt die anfänglich gesicherte Finanzierungsgrundlage wegen Streichung der Haushaltsmittel weg, bleibt Ihnen im Einzelfall die Möglichkeit, die Ausschreibung (rechtmäßig) aufzuheben. Das gilt jedenfalls, soweit eine weitere Durchführung des Vergabeverfahrens unter Berücksichtigung der Interessen der Bewerber und Bieter unmöglich bzw. unzumutbar ist.
OPPENLÄNDER Rechtsanwälte mit Sitz in Stuttgart zählt bei einer Teamgröße von ca. 40 Anwältinnen und Anwälten zu den TOP 50 Kanzleien in Deutschland. Die Beratungspraxis umfasst sämtliche Bereiche des Wirtschaftsrechts. Dies gilt insbesondere auch für das Vergabe-, Presse- und Arbeitsrecht.