Als öffentlicher Auftraggeber müssen Sie schon bei der Vorbereitung Ihres Vergabeverfahrens wegweisende Entscheidungen treffen. Dazu gehören:
- Festlegen des genauen Beschaffungsbedarfs
- Ermitteln des Auftragswerts
- Erstellen durchdachter Vergabeunterlagen, die den hohen Anforderungen des Vergaberechts standhalten.
Bei alltäglichen Produkten können Sie diese Aufgaben möglicherweise ohne Weiteres erfüllen. Anders ist das bei nicht alltäglichen Produkten, wenn etwa die Bundeswehr ein Segelschiff statt Patronen beschafft, die Kommune ein Dienstfahrzeug für den Bürgermeister statt Kopierpapier oder die Bahn ein Tiefbahnhof in einer Landeshauptstadt statt einem Wartehäuschen auf dem Land. Hier stellen sich schnell folgende Fragen:
- Ist der Beschaffungsgegenstand überhaupt am Markt verfügbar?
- Welche Preise werden dafür gefordert?
- Welche Anbieter gibt es?
- Sind alternative oder technisch fortschrittliche Lösungen verfügbar?,
Ohne eine Antwort auf diese Fragen können Sie kein Vergabeverfahren vorbereiten. Es fehlt die sogenannte „Vergabereife“. Gut, dass es die Möglichkeit zur „Markterkundung“ gibt.
Warum Markterkundung?
In § 28 Abs. 1 der Vergabeverordnung (VgV) ist geregelt, dass der öffentliche Auftraggeber vor der Einleitung eines Vergabeverfahrens eine Markterkundung durchführen darf. Eine Markterkundung hat dabei nach dem Gesetzestext zwei Zwecke:
- Die Vorbereiten der Auftragsvergabe: Nur wenn Sie als Auftraggeber einen ausreichenden Überblick über die auf dem Markt verfügbaren Lösungen und Produkte haben, können Sie auch beurteilen, ob und wie Ihr Beschaffungsbedarf gedeckt werden kann. Durch die Markterkundung bekommen Sie also die Informationen, die Sie brauchen, um das Vergabeverfahren gestalten zu können. Daraus folgt auch, dass Sie keine Markterkundung durchführen müssen, wenn Sie entsprechende Kenntnisse schon haben.
- Das Unterrichten der Unternehmen über den Plan zur Auftragsvergabe und die Anforderungen: Der Markt wird also über ein bevorstehendes Vergabeverfahren und die voraussichtlichen Anforderungen des Verfahrens frühzeitig informiert und kann sich darauf einstellen.
Wann und wie wird eine Markterkundung durchgeführt?
Die Markterkundung müssen Sie zeitnah vor der Einleitung eines Vergabeverfahrens durchführen. Warten Sie nach der Markterkundung zu lange mit der Einleitung eines Vergabeverfahrens, kann Ihre im Rahmen der Markterkundung erstellte Kostenermittlung an Aktualität verloren haben und deshalb mangelhaft sein.
Wie eine Markterkundung durchzuführen ist, schreibt das Gesetz nicht vor. Es kommen deshalb verschiedene Vorgehensweisen in Betracht.
Liegen Ihnen Informationen oder Erfahrungswerte aus vorhergehenden Ausschreibungen vor, sind diese Informationen ein guter Ausgangspunkt. Sie können sich auch bei anderen öffentlichen Auftraggebern informieren. Daneben können Sie sich auch in frei verfügbare Quellen informieren. Darunter fallen z.B. Internetseiten und Kataloge mit Preislisten, der Besuch einer Fachmesse oder auch Werbematerialien. Möglich ist auch eine direkte Ansprache von (ausreichend vielen) Marktteilnehmern. Diese können Sie anrufen oder zu persönlichen Gesprächen und Präsentationsterminen einladen. Sie können auch Fragenkataloge erstellen, die Sie mit der Bitte um Beantwortung an Ihnen bekannte Marktteilnehmer übersenden oder in Fachmedien veröffentlichen. Es können auch öffentliche Marktansprachen erfolgen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat Ende 2022 zudem die Innovationsplattform „KOINNOvationsplatz“ geschaffen, die Auftraggeber und Unternehmen vernetzt und so ausdrücklich auch bei der Markterkundung unterstützen soll.
Tipp
Erwecken Sie während Ihrer Markterkundung gegenüber den beteiligten Unternehmen nicht den Eindruck, es solle in konkrete Verhandlungen eingetreten oder gar schon ein Auftrag erteilt werden. Eine Markterkundung endet nie mit einem Vertragsschluss. Auch die Durchführung eines Vergabeverfahrens (nur) zur Markterkundung ist ausdrücklich nicht erlaubt (§ 28 Abs. 2 VgV). Bezeichnen Sie die Markterkundung deshalb klar als solche und weisen Sie darauf hin, dass der Markterkundung ein förmliches Vergabeverfahren folgen wird.
Was kann die Markterkundung ergeben?
Die Markterkundung kann verschiedene Ergebnisse haben. Finden Sie heraus, dass es mehrere Lösungen und Anbieter für Ihren Beschaffungsbedarf gibt, können Sie auf Grundlage Ihrer Markterkundung gut informiert ein Vergabeverfahren einleiten.
Führt Ihre Markterkundung hingegen zu dem Ergebnis, dass nur ein Unternehmen eine Lösung für Ihren Beschaffungsbedarf anbietet, dürfen Sie mit diesem Unternehmen keinesfalls schon im Rahmen der Markterkundung einen Vertrag abschließen. Auch in einem solchen Fall müssen Sie die Markterkundung zunächst abschließen, bevor Sie im Rahmen eines vereinfachten Vergabeverfahrens (z.B. nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV) einen Auftrag erteilen können. Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen Sie zuvor allerdings auch auf europäischer Ebene „ernsthafte Nachforschungen“ angestellt haben, um notfalls beweisen zu können, dass nur ein Unternehmen Ihren Beschaffungsbedarf decken kann. Dass nur ein Unternehmen auf nationaler Ebene den Bedarf decken kann, genügt nicht.
Dokumentation
Ihr Vorgehen im Rahmen der Markterkundung sollten Sie dokumentieren und zur Vergabeakte nehmen. Die Dokumentation muss sich sowohl auf die Art der Durchführung als auch auf die Ergebnisse der Markterkundung beziehen. Bei Internetrecherchen können Sie z.B. ein Protokoll über die Recherche mit Links und Abrufdatum anfertigen. Andere Infomaterialien können Sie direkt zur Akte nehmen. Führen Sie Gespräche mit Unternehmen, sollten Sie die wesentlichen Gesprächsinhalte in einer Notiz festhalten.
Eine gute Dokumentation kann auch dem Vorwurf entgegenwirken, ein an der Markterkundung beteiligtes Unternehmen habe Sonderwissen, das ihm im späteren Vergabeverfahren einen Wettbewerbsvorteil verschaffe. Grundsätzlich können Unternehmen, die in die Markterkundungsphase einbezogen waren, einen Wissensvorsprung haben (vgl. OLG Frankfurt, 12.04.2022, 11 Verg 11/21, Rn. 105). Derartige Wissensvorsprünge können im Zweifelsfall ausgeglichen werden, etwa indem die Dokumentation der Markterkundung im Vergabeverfahren für alle Bieter offen gelegt wird.
Fazit
Eine Markterkundung soll Ihnen als öffentlichem Auftraggeber einen ausreichend guten Überblick über am Markt verfügbare Lösungen für Ihren Beschaffungsbedarf geben. Nur wenn Sie entsprechende Kenntnisse haben, können Sie eine fundierte Ausschreibung gestalten und durchführen. Wie Sie die Markterkundung durchführen, ist Ihnen überlassen. Ihre Erkenntnisse aus der Markterkundung müssen Sie dokumentieren.
OPPENLÄNDER Rechtsanwälte mit Sitz in Stuttgart zählt bei einer Teamgröße von ca. 45 Anwältinnen und Anwälten zu den TOP 50 Kanzleien in Deutschland. Die Beratungspraxis umfasst sämtliche Bereiche des Wirtschaftsrechts. Dies gilt insbesondere auch für das Vergabe- und Kartellrecht.