„Das Vergabegesetz“, in dem alles zum Vergaberecht steht, gibt es nicht. Das wäre zu einfach für den Anwender. Stattdessen muss sich der Praktiker erstmal einen Überblick verschaffen, wo die Regeln zur Auftragsvergabe stehen und welche Regeln er wann anwenden muss.
Der Schwellenwert bestimmt, ob national oder europaweit
Die erste und entscheidende Weichenstellung lautet: Ist der EU-Schwellenwert erreicht oder nicht. Davon hängt ab, ob Sie ein europaweites Vergabeverfahren durchführen müssen oder nur national ausschreiben dürfen. Dies ermitteln Sie anhand der beiden Fragen: Welche Leistung vergeben Sie? Wie hoch schätzen Sie den Wert des zu vergebenden Auftrags?
Welche Leistung vergeben Sie?
Sie ordnen Ihren Beschaffungsbedarf den folgenden Kategorien zu:
- Vergeben Sie einen Auftrag oder eine Konzession?
- Geht es um eine Bauleistung? Oder um eine Dienst- oder Lieferleistung?
- Exkurs 1: Gehören Sie einem Sektorenauftraggeber an?
- Exkurs 2: Geht es um den Verteidigungs- und Sicherheitsbereich?
Wie hoch ist der Wert des zu vergebenden Auftrags?
Vor Beginn des Vergabeverfahrens schätzen Sie den Wert des zu vergebenden Auftrags:
- Schätzen Sie den Auftragswert unterhalb des EU-Schwellenwertes, dürfen Sie rein national ausschreiben.
- Erreicht oder überschreitet der Auftragswert den EU-Schwellenwert, müssen Sie europaweit ausschreiben.
Die Schwellenwerte in Eurobeträgen (netto)
Von der Beantwortung der beiden Fragen hängt ab, welcher EU-Schwellenwert für Ihre Auftragsvergabe gilt. Die EU-Schwellenwerte, ab denen eine europaweite Ausschreibung erforderlich ist, lauten je nach der zu vergebenden Leistung:
Konzession: Bau- und Dienstleistungen= 5.350.000 EUR
Aufträge:
- Bauleistungen = 5.350.000 EUR
- Dienst- und Lieferleistungen:
- klassischer öffentlicher Auftraggeber = 214.000 EUR
- obere und oberste Bundesbehörden = 139.000 EUR
- Sektorenauftraggeber = 428.000 EUR
- Verteidigungs- und sicherheitsrelevante Aufträge = 428.000 EUR
- Soziale und besondere Dienstleistungen = 750.000 EUR
Auf einem Blick
Deutsche Vorschriften ab Erreichen des EU-Schwellenwertes
Wenn der EU-Schwellenwert erreicht wird, spricht man von Oberschwellenvergaben. Oberschwellenvergaben sind in den folgenden deutschen Vorschriften geregelt:
- § 97-186 GWB: für alle Leistungen
ergänzt durch:
- VgV: für Dienst- und Lieferleistungen (und Abschnitt 1 und Abschnitt 2, Unterabschnitt 2 der VgV = Allgemeine Bestimmungen und Besondere Methoden und Instrumente wie z.B. Rahmenvereinbarungen: für Bauleistungen)
- VOB/A, 2. Abschnitt: für Aufträge über Bauleistungen
- KonzVgV: für Konzessionen über Bau- und Dienstleistungen
- SektVO: für Sektorentätigkeiten
- VSVgVund VOB/A, 3. Abschnitt: für den Bereich der Verteidigung und Sicherheit
Deutsche Vorschriften unterhalb des EU-Schwellenwertes
Wenn der EU-Schwellenwert nicht erreicht wird, spricht man von Unterschwellenvergaben. Die rechtlichen Vorgaben hierzu finden Sie in den folgenden deutschen Vorschriften:
- Haushaltsordnungen: je nach Auftraggeber entweder Bundeshaushaltsordnung (BHO), Landeshaushaltsordnung (LHO) oder Gemeindehaushaltsverordnung (GemHVO) in Verbindung mit Runderlassen
- UVgO oder VOL/A, 1. Abschnitt (je nach Verweis im Haushaltsrecht des betroffenen Bundeslandes): für Aufträge über Dienst- und Lieferleistungen
- VOB/A, 1. Abschnitt: für Aufträge und Konzessionen über Bauleistungen:
- Exkurs: für nationale Dienstleistungskonzessionen gibt es keine ausdrückliche Regelung
Europäisches Recht und das Kaskadenprinzip
Allen deutschen Regelungen übergeordnet ist das EU-Recht. Der Vertrag über die Arbeitsweise der EU, AEUV enthält zwar keine spezifischen Vergaberegeln. Aus den EU-Grundfreiheiten leitet man jedoch die drei Grundsätze des Vergaberechts ab: Wettbewerb, Transparenz und Gleichbehandlung. Für EU-weite Vergabeverfahren hat der Gesetzgeber eigene EU-Vergaberichtlinien aufgestellt, die vom deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt werden. Für den praktischen Anwender sind die EU-Richtlinien deshalb ohne Bedeutung.
Das europäische Vergaberecht ist im Wesentlichen in den folgenden Vorschriften geregelt:
- AEUV (Die drei vergaberechtlichen Grundsätze Wettbewerb, Transparenz und Gleichbehandlung gelten bei Binnenmarktrelevanz auch für nationale Vergaben)
- Richtlinie 2014/23/EU: über die Konzessionsvergabe
- Richtlinie 2014/24/EU: über die öffentliche Auftragsvergabe
- Richtlinie 2014/25/EU: über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Sektorenbereich
- Richtlinie 2009/81/EG: für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit
- Rechtsmittelkoordinierungsrichtlinie 2007/66/EG
Innerhalb der nationalen Vorschriften gibt es wiederum eine Rangfolge, weil die höhere Stufe Vorrang vor der niedrigeren Stufe hat. Die Struktur von unterschiedlichen Rechtsquellen auf unterschiedlichen Ebenen wird mit dem Begriff des „Kaskadenprinzips“ umschrieben.
Landesvergabegesetze und Vergabestatistikverordnung
Hinzu kommen je nach Bundesland ggf. dort geltende Landesvergabegesetze, in denen der Landesgesetzgeber Mindestlöhne und soziale Standards vorgeben kann. Zum Beispiel gilt in Baden-Württemberg das „Tariftreue- und Mindestlohngesetz für öffentliche Aufträge in Baden-Württemberg“ (LTMG).
Das sind die materiellen Regelungen, wie Sie ausschreiben müssen. Daneben gibt es noch die Vergabestatistikverordnung (VergStatVO), die Sie zur Sammlung und Übermittlung von Daten zu statistischen Zwecken verpflichtet. Sie gilt für nationale und europaweite Vergabeverfahren.
Förderbescheide
Empfänger von Fördermitteln haben die vergaberechtlichen Nebenbestimmungen anzuwenden, die im Fördermittelbescheid genannt werden. Lesen und beachten Sie diese Allgemeinen Nebenbestimmungen (insb. ANBest-P und ANBest-G) sorgfältig, um später keine Fördermittel zurückzahlen zu müssen.