Wann sind kommunale Baugesellschaften öffentliche Auftraggeber?
In den letzten Jahren haben sich vermehrt die Vergabenachprüfungsinstanzen mit der Frage beschäftigt, ob kommunale Wohnbaugesellschaften öffentliche Auftraggeber sind. Das ist wichtig für die Frage, ob diese Gesellschaften das Vergaberecht anwenden müssen oder nicht. Kurz gesagt: Sind sie funktionale öffentliche Auftraggeber (§ 99 Nr. 2 GWB)?
Voraussetzungen eines funktionalen öffentlichen Auftraggebers
Wer „klassischer“ öffentlicher Auftraggeber ist, ergibt sich aus § 99 GWB (ex § 98 GWB a.F.). Von den einzelnen „Auftraggeber-Arten“ des § 99 GWB kommt für kommunale Wohnbaugesellschaften insbesondere § 99 Nr. 2 GWB in Betracht, der den „funktionalen“ öffentlichen Auftraggeber definiert.
Danach sind öffentliche Auftraggeber andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen, sofern eine der folgenden Alternativen greift und zwar
- sie überwiegend von öffentlichen Auftraggebern nach § 99 Nr. 1 oder Nr. 3 GWB einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise finanziert werden.
- ihre Leitung der Aufsicht durch öffentliche Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 oder Nr. 3 GWB unterliegt
- mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe durch öffentliche Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 oder Nr. 3 GWB bestimmt worden sind.
Ergo: Sie sind also ein funktionaler öffentlicher Auftraggeber, wenn
- es sich bei Ihrer Behörde um eine juristische Person des privaten Rechts handelt,
- die eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe erfüllt,
- diese Aufgabe nicht gewerblicher Art ist,
- die Gründung zu dem besonderen Zweck der Aufgabenerfüllung erfolgt und
- besondere Staatsnähe (§ 99 Nr. 2 lit. a) bis c) GWB) besteht.
Wichtig: Kommunale Wohnbaugesellschaften fallen nur dann unter den Begriff des öffentlichen Auftraggebers nach § 99 Nr. 2 GWB, wenn sie alle genannten Voraussetzungen der Regelung erfüllen.
Schauen wir uns die Punkte genauer an:
1. Voraussetzung: Juristische Person des privaten Rechts
Zunächst muss es sich bei den kommunalen Wohnbaugesellschaften um juristische Personen des privaten Rechts handeln. Unter „juristische Personen des privaten Rechts“ fallen u.a.:
- Aktiengesellschaften (AG)
- Kommanditgesellschaften auf Aktien
- Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH)
- eingetragene Vereine
- eingetragene Genossenschaften.
Fazit: Damit fallen auch kommunale Wohnbaugesellschaften in der Rechtsform einer GmbH unter den Begriff der juristischen Person des privaten Rechts.
2. Voraussetzung: Erfüllung einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe
Hier wird es schon schwieriger. Eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nicht gewerblicher Art liegt in der Regel vor, wenn es sich um Aufgaben handelt, die einerseits auf andere Art als durch das Angebot von Waren oder Dienstleistungen auf dem Markt erfüllt werden. Andererseits handelt es sich dabei um Aufgaben, die der Staat aus Gründen des Allgemeininteresses selbst erfüllen oder bei denen er einen entscheidenden Einfluss behalten möchte (EuGH, 10.11.1998, C-360/96, Rn. 31 ff.).
Ausgangspunkt der Beurteilung ist in der Regel der Gründungsakt der juristischen Person, also die Satzung bzw. der Gesellschaftsvertrag. Dabei ist die im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nicht identisch mit dem Kriterium der „Nichtgewerblichkeit“ der Aufgabe.
Die Vergabenachprüfungsinstanzen haben in den letzten Jahren immer wieder die Erfüllung einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe durch kommunale Wohnbaugesellschaften angenommen, wenn im Gesellschaftsvertrag etwa:
- die „sichere und sozialverantwortbare Wohnungsversorgung der Bevölkerung“
- „sozialverträgliche Bereitstellung von Wohnraum“
- als Gesellschaftszweck eine „sichere und sozialverantwortliche Wohnungsversorgung für breite Schichten der Bevölkerung zu angemessenen Preisen“
verankert war (vgl. VK Sachsen, 11.06.2021, 1/SVK/006-21, Rn. 73; OLG Hamburg, 11.02.2019, 1 Verg 3/15, Rn. 151 ff.; OLG Rostock, 02.10.2019, 17 Verg 3/19, Rn. 64)
3. Voraussetzung: Aufgabe nichtgewerblicher Art
Die Aufgabe der kommunalen Wohnbaugesellschaften muss aber auch „nichtgewerblicher Art“ sein, um einen öffentlichen Auftraggeber zu sein. Ob eine Aufgabe nicht gewerblich ist, muss im Rahmen einer Gesamtbetrachtung geklärt werden, die alle erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände, wie z.B. die Umstände der Gründung, die wirtschaftlichen Bedingungen der Tätigkeit und das wirtschaftliche Umfeld berücksichtigt. Indizien für die Nichtgewerblichkeit sind dabei etwa:
- das Fehlen von Wettbewerb
- das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht
- das Fehlen der Übernahme des wirtschaftlichen Risikos (Insolvenzrisiko)
- eine Finanzierung der Tätigkeit aus öffentlichen Mitteln.
Aufgaben, die der Staat aus Gründen des Allgemeininteresses selbst erfüllt oder bei denen er einen wesentlichen Einfluss behalten möchte, sind ebenfalls im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art.
Die soziale Wohnraumversorgung ist eine Aufgabe, die der Staat nicht dem Spiel der Marktkräfte überlässt, sondern selbst erfüllt und steuert. Das ergibt sich etwa aus dem Wohnraumförderungsgesetz (WoFG). Die vergaberechtliche Rechtsprechung nimmt auch deshalb häufig, aber nicht immer, eine Aufgabe nicht gewerblicher Art im Bereich des sozialen Wohnungsbaus an. So ist beispielsweise die VK Sachsen (11.06.2021, 1/SVK/006-21, Rn. 75 ff.) sowie das OLG Rostock (02.10.2019, 17 Verg 3/19, Rn. 67 ff.) zu dem Ergebnis gekommen, dass die in Frage stehenden kommunalen Wohnbaugesellschaften das Risiko ihrer Tätigkeit nicht selbst tragen und der Hauptzweck nicht die Gewinnerzielung, sondern der soziale Wohnungsbau sei. Anders hat es in den letzten Jahren etwa das OLG Hamburg (11.02.2019, 1 Verg 3/15, Rn. 158 ff.) bewertet, das im konkreten Einzelfall eine Tätigkeit unter Marktbedingungen mit Gewinnerzielungsabsicht angenommen hatte. Zwei von drei Vergabenachprüfungsinstanzen haben demnach eine Aufgabe nichtgewerblicher Art im Bereich des sozialen Wohnungsbaus annehmen.
4. Voraussetzung: Besondere Staatsnähe
Eine besondere Staatsnähe ist kurz und knapp gegeben, wenn eine öffentliche Finanzierung oder öffentliche Kontrolle vorliegt (§ 99 Nr. 2 lit. a) bis c) GWB).
Dieses Merkmal dürfte bei kommunalen Wohnbaugesellschaften regelmäßig vorliegen, wenn sie sich zu 100 % mittelbar oder unmittelbar in staatlicher Hand befinden und damit die Gremien (z.B. Aufsichtsrat) besetzen.
Fazit und Praxistipp
Ob eine kommunale Wohnbaugesellschaft öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 2 GWB ist, richtet sich nach einer funktionalen Betrachtung. Knackpunkt ist, ob eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nichtgewerblicher Art vorliegt. Die anderen Tatbestandsmerkmale des § 99 Nr. 2 GWB sind häufig bei kommunalen Wohnbau-GmbHs gegeben. Jedenfalls der soziale Wohnungsbau und die soziale Wohnraumförderung stellen als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe dar. Drei von vier Vergabekammern nehmen in diesem Zusammenhang auch an, dass die Aufgabe „nichtgewerblicher Art“ ist. Kommunale Wohnbaugesellschaften sind deshalb gut beraten, die eigene Bindung an das Vergaberecht sorgsam zu prüfen. Das hat freilich nicht nur oberhalb der EU-Schwellenwerte Bedeutung, sondern auch unterhalb.
OPPENLÄNDER Rechtsanwälte mit Sitz in Stuttgart zählt bei einer Teamgröße von ca. 40 Anwältinnen und Anwälten zu den TOP 50 Kanzleien in Deutschland. Die Beratungspraxis umfasst sämtliche Bereiche des Wirtschaftsrechts. Dies gilt insbesondere auch für das Vergabe- und Kartellrecht.