Kennen Sie das? Bei der Erstellung eines Leistungsverzeichnisses ist die Versuchung groß, auf Textbausteine von Herstellern, veröffentlichte Ausschreibungstexte für ähnliche Ausschreibungen zurückzugreifen oder konkrete Produkte vorzulegen, um sich die detaillierte, neutrale Beschreibung einer Leistung zu ersparen. Doch Vorsicht: Eine solche auf den ersten Blick praktikable Herangehensweise birgt mehrere vergaberechtliche Fallstricke.
Was sind verdeckte Produktvorgaben?
Beispiel: Bei der Beschaffung von Sportgeräten für eine Schulturnhalle griff der Schulträger auf Ausschreibungstexte eines führenden Herstellers für Sportgeräte zurück. Die Namen der Produkte strich er. Die Texte enthielten jedoch so konkrete Maßangaben, dass es anderen Sportgeräteherstellern nicht möglich war, wertungsfähige Angebote abzugeben.
Der Schulträger hatte übersehen, dass es für diese Geräte keine normierten Maße gibt, so dass trotz der Neutralisierung des Textes nur die Produkte eines Herstellers angeboten werden konnten. Ein solches Vorgehen verstößt unabhängig von der Offenlegung der Produktvergaben gegen das in § 31 Abs. 6 VgV geregelte Verbot von Produktvorgaben in der Leistungsbeschreibung.
Wann können Sie Produktvorgaben in Ausschreibungen nutzen?
Die Nennung von Produkten, besonderen Verfahren für die Herstellung von Erzeugnissen oder für Dienstleistungen sind ausnahmsweise zulässig, wenn Sie
- nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe dokumentiert haben,
- solche Gründe tatsächlich vorhanden sind
- die Produktvorgaben anderer Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminieren oder
- die zu beschaffende Leistung ohne Verweis auf das Produkt oder das Verfahren nicht hinreichend genau und allgemeinverständlich beschreiben können.
Beschrieben ist dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis in § 31 Abs. VgV und § 23 Abs. 5 UVgO für Liefer- und Dienstleistungen sowie in § 7 EU Abs. 2 VOB/A und § 7 Abs.2 VOB/Afür Bauleistungen.
Zulässig können Produktvorgaben aus Gründen der Kompatibilität mit Bestandstechnik sein.
Bei den Sportgeräten war dies nicht der Fall. Das Leistungsverzeichnis musste so abgeändert werden, dass Sportgeräte unterschiedlicher Hersteller angeboten werden konnten.
Was passiert, wenn wegen der Produktvorgabe nur ein Angebot abgeben kann?
Führt Ihre Produktvorgabe dazu, dass sich der Kreis der Bieter auf ein Unternehmen verengt, gelten nochmals schärferer Anforderungen. Eine solche herstellerbezogene Leistungsbeschreibung ist nur dann zulässig, wenn es zu dem vorgegebenen Produkt keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der sich hieraus ergebende mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsparameter ist.
Dies ergibt sich aus § 14 Abs. 6 VgV für Liefer- und Dienstleistungen und aus § 3a Abs.3 Nr.3 S. 2 EU VOB/A für die Vergabe von Bauleistungen. Diese Regelungen betreffen zwar die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb. Es handelt sich jedoch um einen allgemeinen Grundsatz, der auch für alle anderen Vergabeverfahren Anwendung findet (OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 07.06.2017 – Verg 53/16 und 27.09.2017 – Verg 12/17; VK Bund, Beschluss vom 23.10.2019 – VK 1-75/19.
Mit welcher Begründung können Sie Produktvorgaben in einer Ausschreibung rechtfertigen?
Sachliche Gründe, die Produktvorgaben rechtfertigen, sind in der Regel technischer Natur. Bei technischen Anlagen mit hohen Anforderungen an die Systemsicherheit und Verfügbarkeit kann die Vermeidung von Schnittstellen oder das Risiko der Inkompatibilität von Systemen unterschiedlicher Hersteller eine Produktvorgabe rechtfertigen. Gleiches gilt für den Aufwand und das Risiko von Datenmigrationen und dem Schulungsaufwand neuer IT-Systeme. Sie können jedoch nicht verallgemeinern, sondern müssen je konkretem Einzelfall neu entscheiden.
Was passiert bei der Verwendung unzulässiger Produktvorgaben?
Werden ungerechtfertigte Produktvorgaben von Unternehmen im Vergabeverfahren gerügt, ist das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen und erneut bekannt machen. Es genügt nicht, dass Sie das Leistungsverzeichnis ändern und die Ihnen bekannten an dem Auftrag interessierten Unternehmen über die Änderung informieren.
Der Grund ist Folgender: Es ist nicht ausgeschlossen, dass Unternehmen sich die Ausschreibungsunterlagen geprüft und wegen der Produktvorgabe auf die Teilnahme an der Ausschreibung verzichtet haben. Diese interessierten Unternehmen und alle anderen Unternehmen, die auf die erste Bekanntmachung der Ausschreibung aus anderen Gründen nicht reagiert haben, erreichen Sie nur durch eine neue Bekanntmachung.
Wurde von Ihnen der Auftrag trotz des Verstoßes gegen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung erteilt, ist ein wirksamer Vertrag zu Stande gekommen. Aber Vorsicht: Der Verstoß gegen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung stellt einen schweren Verstoß gegen die gesetzlichen Regelungen des Vergaberechts dar. Bei Aufträgen, die mit öffentlichen Fördermitteln bezuschusst wurden, können solche Verstöße zur Rückforderung der Zuwendung führen.