Corona, Stau im Suezkanal, unterbrochene Lieferketten, Ukrainekrieg, staatliche Sanktionen und die Inflation – Gründe für steigende Preise gibt es derzeit viele. Von Preissteigerungen ganz besonders betroffen sind aktuell Baustoffe und Kraftstoffe. Viele Baustoffe, etwa Stahl, Aluminium, Roheisen, Nickel, Titan, Erdölprodukte, Kunststoffrohre, Folien oder die für die Herstellung von Bitumen für den Straßenbau benötigten Materialien kommen aus Russland, der Ukraine und Weißrussland oder anderen Ländern, in denen Lieferketten durch die Ereignisse in der Ukraine beeinträchtigt worden sind. Ein Bezug der Materialien aus diesen Ländern ist wegen der staatlichen Sanktionen zurzeit kaum mehr möglich. Lieferanten aus anderen Ländern verlangen regelmäßig höhere Preise.
Preissteigerungen wirken sich auch auf öffentliche Aufträge aus, wenn Auftragnehmer ihre Preise nicht mehr kalkulieren können oder mit den ursprünglich kalkulierten Preisen nicht mehr auskommen. In der Industrie und der Politik wird zur Lösung von Problemen mit Bezug zu steigenden Preisen gerne auf „Stoffpreisgleitklauseln“ verwiesen. Was das ist und wie Sie mit Stoffpreisgleitklauseln umgehen, erfahren Sie in diesem Blogbeitrag.
Was sind Stoffpreisgleitklauseln?
Stoffpreisgleitklauseln sind nach einer Definition des Bundesgerichtshofs ein Instrument zur Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung bei langfristigen Lieferverträgen. Die Klauseln dienen dazu, dem Auftragnehmer das Risiko langfristiger Kalkulationen abzunehmen und ihm seine Gewinnspanne auch bei steigenden Kosten zu sichern. Davon profitieren auch Sie als Auftraggeber, weil Auftragnehmer ohne Preisgleitklauseln schon bei Vertragsschluss erhebliche Risikozuschläge einpreisen müssten.
Stoffpreisgleitklauseln sind also ein Instrument des Risikoausgleichs. Sie sorgen dafür, dass Bieter für bestimmte Stoffe keine Risikozuschläge einkalkulieren müssen. Vielmehr können Bieter ihren Angebotspreis allein auf Grundlage ihrer tatsächlichen Kosten kalkulieren. Sollten die Preise im Anschluss steigen, bekommen sie Mehraufwendungen zusätzlich zum kalkulierten Angebotspreis vergütet. Das Preisgleiten gilt aber natürlich nicht nur in eine Richtung. Bei Stoffpreissenkungen ist der Auftragnehmer verpflichtet, die ersparten Aufwendungen von seinem Vergütungsanspruch abzuziehen.
Weil das „Preisgleiten“ dabei nicht am konkreten Angebotspreis ansetzt, sondern an einem von Ihnen bei Versendung der Vergabeunterlagen festgelegten aktuellen Marktpreis („Basiswert“), ändert sich am Verhältnis der Angebotspreise zueinander nichts. Teure Angebote bleiben teuer, günstige Angebote bleiben günstig.
Wann können Stoffpreisgleitklauseln vereinbart werden?
Von besonderer Bedeutung sind Stoffpreisgleitklauseln in Bauverträgen. Stoffpreisgleitklauseln können dort nach den Richtlinien zum Formblatt 225 im Vergabehandbuch des Bundes verwendet werden, wenn
- ein Stoff Preisveränderungen in besonderem Maße ausgesetzt ist und ein nicht kalkulierbares Preisrisiko für diesen Stoff zu erwarten ist, und
- der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und dem Zeitpunkt der vereinbarten Fertigstellung mindestens 10 Monate beträgt, und
- der Stoffkostenanteil des Stoffs mindestens 1 % der von der Vergabestelle geschätzten Auftragssumme beträgt.
In einem aktuellen Erlass vom 25.03.2022 hat das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen diese Voraussetzungen wegen der Folgen des Ukraine-Krieges herabgesetzt. Es ist nach dem Erlass derzeit davon auszugehen, dass unkalkulierbare Preisrisiken für bestimmte, im Erlass genannte Baustoffe wie Stahl, Aluminum, Kupfer, Erdölprodukte, Epoxidharze, Zement, Holz und gusseiserne Rohre bestehen. Grundsätzlich können Stoffpreisgleitklauseln aber auch für andere Produkte oder Materialien vereinbart werden. Preisgleitklauseln können außerdem aktuell schon vereinbart werden, wenn der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Lieferung/Fertigstellung einen Monat überschreitet.
Wie kommen Stoffpreisgleitklauseln in die Vertragsunterlagen?
Stoffpreisgleitklauseln sind nicht automatisch Bestandteil von Verträgen. Sie müssen ausdrücklich vereinbart werden. Dazu bietet sich die Aufnahme der Stoffpreisgleitklausel als „Besondere Vertragsbedingung“ an. Wird die Ausschreibung mit den Formblättern des Vergabehandbuch des Bundes durchgeführt, sollte in Abschnitt B (Anlagen die beim Bieter verbleiben und Vertragsbestandteil werden) des Formblatts 211 (Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes) außerdem das Formblatt 225 angekreuzt werden. Im Formblatt 225 werden alle Stoffe, für die eine Preisgleitklausel vereinbart werden soll, in einem Verzeichnis aufgeführt.
Im Vergabevermerk sollten die Gründe, die für die Aufnahme der Stoffpreisgleitklausel sprechen, dokumentiert werden.
Wie werden Mehr-/Minderaufwendungen berechnet?
Bei der Berechnung der Mehr- oder Minderaufwendungen wird normalerweise auf den „Index der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte“ zurückgegriffen. In diesem Index des Statistischen Bundesamtes wird die Preisentwicklung für verschiedene Güter Monat für Monat erfasst. Jedem Stoff wird dabei jeden Monat ein Indexwert zugeordnet. Steigen die Preise, steigt der Indexwert. Sinken die Preise, sinkt der Indexwert.
Für die Berechnung der Mehr-/Minderaufwendungen müssen die Indexwerte von drei Zeitpunkten aus dem Index herausgelesen werden. Wichtig sind der Indexwert im Zeitpunkt der Versendung der Vergabeunterlagen, der Indexwert im Zeitpunkt der Angebotsöffnung und der Indexwert im Abrechnungszeitpunkt (Einbau/Lieferung/Verwendung). Mit diesen drei Werten und dem von Ihnen ermittelten Basiswert können anhand einer vorgegebenen Formel in drei Schritten die angefallenen Mehr-/Minderaufwendungen berechnet werden.
Von den errechneten Mehr-/Minderkosten müssen 10% „Selbstbeteiligung“ abgezogen werden.
Können Stoffpreisgleitklauseln auch in bestehende Verträge aufgenommen werden?
Bestehende Verträge sind grundsätzlich einzuhalten. Ein Vertrag kann aber ausnahmsweise dann anzupassen sein, wenn die Preise so stark gestiegen sind, dass dem Auftragnehmer ein Festhalten am Vertrag in der ursprünglichen Form nicht mehr zugemutet werden kann („Störung der Geschäftsgrundlage“). Ob die Geschäftsgrundlage eines Vertrages gestört ist, muss in jedem Einzelfall geprüft werden. Ist die Geschäftsgrundlage nach dieser Prüfung tatsächlich gestört, so kann ein Anspruch auf Preisanpassung bestehen. Hierzu können auch nachträglich Stoffpreisgleitklauseln vereinbart werden.
Das geht allerdings nur, wenn bis zu diesem Zeitpunkt höchstens die Hälfte der Leistung erbracht wurde und nur für die Leistungsteile, die noch nicht erbracht wurden. Rückwirkend können Mehraufwendungen also nicht geltend gemacht werden. Außerdem hat der Auftragnehmer nicht nur 10%, sondern 20% der Mehrkosten als Selbstbeteiligung zu tragen, wenn nachträglich Stoffpreisgleitklauseln in einen bestehenden Vertrag aufgenommen werden.
Mit der nachträglichen Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel wird ein bestehender Vertrag geändert. Änderungen an ausgeschriebenen Aufträgen erfordern nach § 132 GWB aber im Normalfall ein neues Vergabeverfahren. Das gilt insbesondere, wenn durch die Änderung das wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrages zugunsten des Bieters verschoben wird (§ 132 Abs. 1 Nr. 2 GWB). Weil die Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel aber das ursprüngliche Gleichgewicht des Vertrages gerade wiederherstellen soll, liegt § 132 Abs. 1 Nr. 2 GWB nach dem Erlass des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen vom 25.03.2022 nicht vor. Trotzdem muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob eine nachträgliche Änderung des Vertrages zulässig ist.
Fazit
Stoffpreisgleitklauseln sind ein Instrument des Risikoausgleichs. Sie sorgen dafür, dass Bieter keine hohen Risikozuschläge für Stoffe in ihre Angebote einkalkulieren müssen, für die sie von steigenden Preisen ausgehen. Davon profitieren letztendlich auch Sie als öffentlicher Auftraggeber. Wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Auftrag Stoffe enthält, deren Kosten während der Auftragsdurchführung starken Veränderungen unterliegen, sollten Sie aus eigenem Interesse deshalb die Aufnahme von Stoffpreisgleitklauseln in die Vergabeunterlagen prüfen.
OPPENLÄNDER Rechtsanwälte mit Sitz in Stuttgart zählt bei einer Teamgröße von ca. 40 Anwältinnen und Anwälten zu den TOP 50 Kanzleien in Deutschland. Die Beratungspraxis umfasst sämtliche Bereiche des Wirtschaftsrechts. Dies gilt insbesondere auch für das Vergabe- und Kartellrecht.
Der Beitrag ist eine Gemeinschaftsarbeit von Dr. Joachim Ott und Dr. Matthias Ulshöfer.
Dr. Matthias Ulshöfer ist Rechtsanwalt und Partner bei OPPENLÄNDER Rechtsanwälte in Stuttgart. Er berät und vertritt öffentliche Auftraggeber und Unternehmen in allen Fragen und Verfahren zum Vergaberecht und zum deutschen und europäischen Kartellrecht. Besondere Schwerpunkte seiner Tätigkeit liegen auf der Beratung im Gesundheitsvergaberecht und im Infrastrukturbereich. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Vergabe- und Kartellrecht und hält regelmäßig Fachvorträge.