Ungewöhnlich niedrige Angebote – Möglichkeiten für Auftraggeber
Der Grund für Vergabeverfahren ist, dass Auftraggeber für ihre ausgeschriebene Leistung das wirtschaftlichste Angebot finden. Günstige Angebotspreise sind deshalb grundsätzlich im Interesse des Auftraggebers.
Erscheint ein Angebotspreis aber nicht nur günstig, sondern im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung „ungewöhnlich niedrig“, müssen Sie als Auftraggeber den Preis und die Kosten des Angebots aufklären. Kann der Bieter seinen ungewöhnlich niedrigen Angebotspreis nicht plausibel begründen, müssen Sie das Angebot ausschließen.
Ziel ist es, Sie so vor Schlechtleistungen und Nachforderungen zu schützen. Ein ungewöhnlich niedriges Angebot (absichtlich oder unabsichtlich) könnte nämlich zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Bieters führen und so die Auftragsdurchführung gefährden. In diesem Blogbeitrag erhalten Sie Tipps, wie Sie ungewöhnlich niedrige Angebote identifizieren und wie Sie mit diesen Angeboten umgehen.
Vorprüfung – Was ist ein „ungewöhnlich niedriges“ Angebot?
Um Ihren vergaberechtlichen Pflichten nachkommen zu können, müssen Sie ungewöhnlich niedrige Angebote im Rahmen einer Vorprüfung identifizieren. Zwar enthalten alle wesentlichen Vergabeordnungen ähnliche Regelungen zu ungewöhnlich niedrigen Angeboten (vgl. § 60 Abs. 1 VgV, § 16d Abs. 1 VOB/A EU, § 44 UVgO). Wann ein Angebot ungewöhnlich niedrig ist, wird dort aber nicht definiert.
Es gibt jedoch verschiedene Anhaltspunkte, die für das Vorliegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebotes sprechen können:
- Liegt das Angebot preislich deutlich unter den Angeboten anderer Bieter oder Ihrer sorgfältig erstellten Auftragswertschätzung, besteht Anlass zu einer genaueren Prüfung.
- Daneben können Sie auch Angebote aus vergleichbaren Vergabeverfahren oder sonst erfahrungsgemäß verlangte Preise berücksichtigen. Bezugspunkt Ihrer Prüfung ist dabei immer der Gesamtpreis des Angebotes.
Zahlen lügen nicht – So berechnen Sie die Abweichung
Ein ungewöhnlich niedriges Angebot liegt laut Rechtsprechung dann vor, wenn der Abstand zwischen dem Niedrigpreisangebot und dem Angebot des nächstplatzieren Bieters 20 % beträgt („Aufgreifschwelle“).
Bezugspunkt für die Berechnung der prozentualen Abweichung ist das nächst höhere Angebot (=100%). Wird die Aufgreifschwelle erreicht, müssen Sie zwingend eine Preisprüfung vornehmen (VK Bund, Beschl. v. 15.11.2021, VK 1-112/21). Wird die Aufgreifschwelle nicht erreicht, dürfen Sie eine Preisprüfung trotzdem vornehmen, wenn das Angebot aus anderen Gründen konkreten Anlass zur Preisprüfung gibt.
Beträgt der Preisabstand zum nächst höheren Angebot weniger als 10 % besteht für Sie kein Grund, den Angebotspreis zu hinterfragen (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.08.2014, 15 Verg 7/14).
Aufklärung ungewöhnlich niedriger Angebote
Haben Sie bei Ihrer Vorprüfung ein ungewöhnlich niedriges Angebot erkannt, müssen Sie vom Bieter zwingend Aufklärung über den Preis verlangen. Ohne vorherige Aufklärung dürfen Sie ein ungewöhnlich niedriges Angebot nicht ausschließen.
Im Rahmen der Aufklärung müssen Sie dem Bieter Gelegenheit geben, die Seriosität seines Angebotes nachzuweisen. Der Bieter ist zur Mitwirkung an der Preisaufklärung verpflichtet. Er kann zur Darlegung der Seriosität entweder nachweisen, dass sein Angebot insgesamt auskömmlich (=kostendeckend) ist oder zeigen, dass sein Angebot trotz Unauskömmlichkeit bei wertender Betrachtung angemessen und annehmbar ist.
Um Ihrer Aufklärungspflicht gerecht zu werden, müssen Sie dem Bieter ganz konkrete und präzise Fragen stellen. Das Gesetz gibt Ihnen nicht abschließend verschiedene Prüfungsgegenstände vor, an denen Sie sich orientieren können:
- So kann die Prüfung etwa außergewöhnlich günstige Bedingungen betreffen, über die das Unternehmen bei der Lieferung der Waren oder der Erbringung der Dienstleistung verfügt (vgl. § 60 Abs. 2 Nr. 2 VgV und § 44 Abs. 2 Nr. 2 UVgO).
- Sie können auch prüfen, ob der Bieter alle geltenden Vorschriften einhält.
- Oder Sie prüfen, ob die günstigen Preise auf staatliche Beihilfen zurückzuführen sind.
Tipp: Das Aufklärungsverlangen sollten Sie dem Bieter unbedingt schriftlich (in Textform) mitteilen.
Anders als im Rahmen der Vorprüfung dürfen Sie nun auch Einzelposten der Kalkulation kritisch hinterfragen. Dabei müssen Sie all jene Informationen vom Bieter erfragen, die Sie benötigen, um zu entscheiden, ob der Bieter den Auftrag ordnungsgemäß und vertragsgerecht erfüllen kann. Denn Ihre Entscheidung kann nach der Rechtsprechung nur dann richtig und rechtssicher sein, wenn Sie eine gesicherte Erkenntnisgrundlage haben.
Das Ergebnis der Aufklärung
Hat der Bieter Ihre Aufklärungsfragen beantwortet, müssen Sie seine zusätzlichen Angaben prüfen und bewerten. Ist das Angebot auskömmlich, können und müssen Sie das Angebot in der Wertung belassen.
Ist das Angebot hingegen nicht auskömmlich, muss das Angebot nicht automatisch ausgeschlossen werden. Sie können auf der Grundlage des Angebotes und der Antworten auf Ihre Aufklärungsfragen im Rahmen einer auf den Einzelfall zugeschnittenen Prognoseentscheidung die Angemessenheit des Angebotspreises näher bewerten. Denn auch Unterkostenpreise sind grundsätzlich zulässig, sofern nicht im Einzelfall gewichtige wettbewerbliche Gründe gegen einen Zuschlag auf das Angebot sprechen.
Die Rechtsprechung hat verschiedene Fallgruppen entwickelt, bei deren Vorliegen von einem wettbewerbswidrigen Verhalten ausgegangen wird:
- Verstöße gegen umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Bestimmungen
- gezielte Marktverdrängung von Konkurrenten
- „negative Vertragserfüllungsprognose“
Für Sie besonders wichtig ist die „negative Vertragserfüllungsprognose“. Auf der Grundlage des Angebotes und der Antworten auf Ihre Aufklärungsfragen müssen Sie eine Prognoseentscheidung treffen. Sie müssen bewerten, ob der Bieter aufgrund der Unauskömmlichkeit voraussichtlich in so große Schwierigkeiten geraten wird, dass er den Auftrag nicht vertragsgerecht und zuverlässig erfüllen kann. Nur wenn Ihre Erfüllungsprognose negativ ausfällt, dürfen Sie das Angebot ausschließen.
Fazit
Sie müssen nicht jedes Angebot akzeptieren. Vor allem wenn Sie Zweifel haben aufgrund des ungewöhnlich niedrigen Angebots, sollten Sie genauer hinsehen. Stellt sich ein ungewöhnlich niedriges Angebot nach Ihrer Prüfung als kostendeckend heraus, oder kann der Bieter ein Unterkostenangebot wettbewerblich erklären, müssen Sie das Angebot in der Wertung belassen. Ein Ausschluss des Angebotes wäre dann vergaberechtlich unzulässig.
Ist ein Angebot jedoch unauskömmlich, ohne dass der Bieter seinen ungewöhnlich niedrigen Angebotspreis plausibel erklären kann, schließen Sie das Angebot aus der Wertung aus.
Egal wie die Entscheidungen ausfällt: In jedem Fall müssen Sie Ihr Vorgehen und die Gründe für die Annahme oder die Ablehnung eines Angebotes sorgfältig dokumentieren.
OPPENLÄNDER Rechtsanwälte mit Sitz in Stuttgart zählt bei einer Teamgröße von ca. 40 Anwältinnen und Anwälten zu den TOP 50 Kanzleien in Deutschland. Die Beratungspraxis umfasst sämtliche Bereiche des Wirtschaftsrechts. Dies gilt insbesondere auch für das Vergabe- und Kartellrecht.