Zur Selbstreinigung: Nicht sauber, sondern rein muss der Bieter sein
Gerade in engen Märkten haben Sie als öffentlicher Auftraggeber ein Interesse daran, bestimmte Bieter bei der Auftragsvergabe zu beteiligen. Umgekehrt haben auch die Bieter von Leistungen, die überwiegend durch die öffentliche Hand nachgefragt werden, ein Interesse an der Teilnahme. Ein Fehlverhalten in der Vergangenheit kann der Teilnahme am Vergabeverfahren aber entgegenstehen oder sogar zu einem dauerhaften Ausschluss (Vergabesperre) führen. Ein Ausweg aus dem Dilemma bietet die „Selbstreinigung“. Wann aber gilt ein Bieter als gereinigt und welche Nachweise muss er Ihnen bringen? Dieser Beitrag gibt Antworten.
Das Prinzip der Selbstreinigung
Eine „Selbstreinigung“ kommt in Betracht, wenn bei einem Bieter ein Ausschlussgrund nach § 123 GWB oder § 124 GWB vorliegt. Mit der Selbstreinigung kann ein Bieter den jeweiligen Ausschlussgrund „neutralisieren“ und den (dauerhaften) Ausschluss aus dem Vergabeverfahren vermeiden. Eine erfolgreiche Selbstreinigung führt zur Wiederzulassung zum Vergabeverfahren.
Erforderliche Maßnahmen
Was ein Bieter Ihnen nachweisen muss, um als „gereinigt“ zu gelten, ergibt sich seit der Vergaberechtsnovelle 2016 aus § 125 Abs. 1 GWB. Die Vorschrift setzt europäisches Richtlinienrecht um und schreibt die schon vorher bestehende Rechtsprechung fest. „Nachweisen“ muss Ihnen ein Bieter danach die „drei K“ und zwar
- Kompensation (Schadensausgleich),
- Kooperation (aktive Mithilfe bei der Sachverhaltsaufklärung) und
- Konsequenz (Vornahme konkreter technischer, organisatorischer und personeller Maßnahmen im Unternehmen).
Für das Vorliegen dieser Maßnahmen trifft den Bieter die Darlegungs- und Beweislast. Den Nachweis hat er sogar unaufgefordert in seinem Teilnahmeantrag oder seinem Angebot mitzuliefern, wenn er nicht ausgeschlossen werden will und Sie eine solche Verpflichtung in die Vergabeunterlagen aufgenommen haben (vgl. auch EuGH, Urteil vom 14.01.2021 – Rs. C-387/19, Rn. 42).
Schadenskompensation
Zur Schadenskompensation muss ein Bieter Ihnen nachweisen, dass er für den verursachten Schaden einen Ausgleich gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat (§ 125 Abs. 1 Nr. 1 GWB). Letzteres setzt voraus, dass er seine Pflicht zur Leistung dem Grund und der Höhe nach verbindlich anerkennt, beispielsweise in Form eines schriftlichen Schuldanerkenntnisses. Besteht über die Höhe des Schadens Streit oder ist die genaue Bezifferung des Schadens nicht möglich, kann es ausreichen, wenn der Bieter seine Pflicht „dem Grunde“ nach anerkennt. Das wird insbesondere bei Kartellverstößen diskutiert, wenn der Schaden schwer beziffert werden kann.
Umfassende Sachverhaltsaufklärung durch Kooperation
Als zweite Voraussetzung hat der Bieter aktiv bei der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken (§ 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB). Vom Bieter sind diejenigen Tatsachen und Umstände aufzuklären, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und den dadurch verursachten Schäden im Zusammenhang stehen. Im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung muss der Bieter insbesondere mit Ihnen als öffentlicher Auftraggeber und den Ermittlungsbehörden zu kooperieren. Das hat der EuGH in seinem Urteil vom 24.10.2018 (Rs. C-124/17) bestätigt. Der Bieter muss Ihnen aber keine Auskunft über alle Details der Straftat oder des Fehlverhaltens geben. Seine Verpflichtung ist darauf beschränkt, Ihnen diejenigen Informationen zu übergeben, die Sie für die Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahmen benötigen. Notwendig aber auch ausreichend sind Informationen über die Umrisse der Straftat oder die Ergebnisse der Aufklärung.
Maßnahmen zur Vermeidung weiteren Fehlverhaltens
Als dritte Voraussetzung hat der Bieter konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, weitere Straftaten oder weiteres Fehlverhalten zu vermeiden und diese nachzuweisen (§ 125 Abs. 1 Nr. 3 GWB). Das Spektrum an möglichen Maßnahmen ist breit. Wichtig ist im Ergebnis, dass die Maßnahmen in ihrer Gesamtheit geeignet sind, in Zukunft weitere Straftaten und Fehlverhalten zu verhindern.
Die technischen und organisatorischen Maßnahmen sind auf die strukturelle Veränderung im Unternehmen gerichtet. In Betracht kommt etwa die Einführung von Compliance-Management-Systemen. Ein solches System kann Mitarbeiterschulungen, die Einführung eines „4-Augen-Prinzips“, die Bestellung eines Vermittlers zwischen Unternehmen und potentiellen Hinweisgebern (sog. Ombudsmanns) oder die Einführung von internen Haftungsregelungen beinhalten. Zu personellen Maßnahmen gehört vor allen Dingen die Trennung von Mitarbeitern, die für den begangenen Verstoß verantwortlich waren.
Bewertung der Selbstreinigung und Folgen
Die Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahmen ist Sache des öffentlichen Auftraggebers (§ 125 Abs. 2 GWB); Sie treffen eine Prognoseentscheidung. Dabei haben Sie einen beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum. Anhand der ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen entscheiden Sie, ob die Maßnahmen ausreichend sind, um die Integrität und Zuverlässigkeit des Bieters wiederherzustellen. Als allgemeine Regel gilt, dass die Anforderungen an die vorzunehmenden Selbstreinigungsmaßnahmen umso höher sind, je schwerer ein Verstoß wiegt. Eine Wiederzulassung hat regelmäßig zu erfolgen, wenn sich das in der Vergangenheit liegende Fehlverhalten „höchstwahrscheinlich nicht wiederholen wird“.
Die weiteren Folgen hängen davon ab, zu welcher Entscheidung Sie gelangen: Kommen Sie zu dem Ergebnis, dass die Maßnahmen unzureichend sind, müssen Sie das begründen (vgl. § 125 Abs. 2 Satz 2 GWB). Gelangen Sie dagegen zum Ergebnis, dass ausreichende Selbstreinigungsmaßnahmen getroffen wurden, müssen Sie den „gereinigten“ Bieter zum Vergabeverfahren zulassen.
Fazit
Die Möglichkeit der Selbstreinigung bietet sowohl Bietern als auch öffentlichen Auftraggebern Chancen. Maßstab der Selbstreinigung ist § 125 GWB, der durch aktuelle Entscheidungen der Rechtsprechung weiter konkretisiert wurde.
OPPENLÄNDER Rechtsanwälte mit Sitz in Stuttgart zählt bei einer Teamgröße von ca. 40 Anwältinnen und Anwälten zu den TOP 50 Kanzleien in Deutschland. Die Beratungspraxis umfasst sämtliche Bereiche des Wirtschaftsrechts. Dies gilt insbesondere auch für das Vergabe- und Kartellrecht.